Karl Bosl - Feuchtwangen und Walther von der Vogelweide |
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FEUCHTWANGEN UND WALTHER VON DER VOGELWEIDE
Von KARL BOSL
II.
Für Walther war damit
die Periode der langen Wanderschaft durch halb Europa abgeschlossen. Für
uns aber erhebt sich nun die zweite entscheidende Frage, mit welchem Recht
wir annehmen, daß Walther in dem Raum seiner Heimat, der Burg seines
Dienstherrn, sein Dienstlehen erhielt, und warum er so lange ohne Lehen
blieb, nachdem er ganz offenbar ein geborener Reichsministerialer war.
Die letztere Tatsache ist für einen Verfassungshistoriker unbestritten,
denn Walther von der Vogelweide hat sich ja an keinen der Herren, wie uns
das Schweigen der Quellen zeigt, weder an den Babenberger noch an den Landgrafen
von Thüringen noch an den Landgrafen von Meissen, noch an sonst irgendeinen
um ein Dienstlehen gewandt. Er wendet sich nur an Otto IV., den deutschen
König, um ein Dienstlehen. Für einen Verfassungshistoriker ist
das selbstverständlich, weil er ein Reichsministerialer ist und darum
nur vom Kaiser ein Dienstlehen zu erwarten hat. Und hier nun, meine sehr
verehrten Damen und Herren, hilft uns in ganz entscheidender Weise das
Recht der Dienstmannen des Königshofes Weißenburg weiter; deswegen
habe ich so entscheidenden Wert gerade auf Weißenburg in meinen bisherigen
Ausführungen gelegt. Weißenburg war ein zentraler Punkt in diesem
Komplex, den man früher immer - mit Recht oder mit Unrecht zu stark
als Herzogtum Rothenburg bezeichnet hat. Es ist an sich schon ein schwerwiegendes
Indiz, daß dieser Königshof zu diesem ganzen Komplex der Eheabredung
von 1188 gehört; die Gewohnheiten und die Rechte dieses Königshofes
haben darum für unsere Fragen ein entscheidendes Gewicht.
In
der vorliegenden Form ist zwar das Recht der Weißenburger Dienstmannen
eine Fälschung des 12. Jahrhunderts, aber - wie wir wissen mit einem
echten Kern, der aus dem 11. Jahrhundert stammt5.
Zusätzlichen Aussagewert - und gerade den möchte ich nicht von
der Hand weisen - hat ein anderes fränkisches Reichskirchendienstmannenrecht,
nämlich das jüngere Recht des Reichsbistums Bamberg aus der Zeit
von 1057 bis 10646. Die Bamberger Hochstiftsministerialen
zeigen sich darin als ein abgeschlossener Stand; "veri ministeriales" sagen
die Urkunden, sie waren sowohl erblich abgeschlossen wie rechtlich. Sie
können, wie das Dienstmannenrecht sagt, nur zu den fünf hohen
Hofämtern, zu keinen niederen Diensten, verpflichtet werden. Voraussetzung
des Dienstes aber war der Empfang eines Dienstlehens durch den Bischof
und für dieses Dienstlehen mußte er Burg-, Reiter-, Kriegsdienst,
vielleicht auch Verwaltungsdienste leisten. Wenn nun derjenige, der durch
Geburt entweder Reichsdienstmanne wurde oder Hochstiftsministerialer, sich
zum Dienst meldete als junger Mann, der eben seine Laufbahn antrat, dann
mußte er in Bamberg sowohl - also im Reichsbistum - wie auch im Königshof
Weißenburg zunächst ein Jahr ohne Lehen Dienste tun auf eigene
Kosten, d. h. er war als junger Mann (Knappe) verpflichtet, seine Dienste
1 Jahr lang seinem Herrn anzubieten und sie ihm auch zu tun. Wenn er aber
nach Jahresfrist von seinem Dienstherrn kein Lehen bekam, dann hatte er
nach diesen Dienstrechten das Recht, weiterzuziehen und dem zu dienen,
dem er dienen wollte. Er mußte aber - und das ist für unsere
Beweisführung wiederum äußerst wichtig - gerade nach dem
Recht des Weißenburger Königshofes in seine Dienste wieder zurückkehren,
wenn er später von seinem Dienstherrn ein Lehen bekam. In Bamberg
dagegen blieb er liber = freizügig, wurde kein beneficiarius, der
gegen ein Lehen auf jeden Fall seinem Herrn dienen mußte. In Weißenburg
aber mußte er nach Hause und zuhause dann das Lehen annehmen. In
diesem Weißenburger Dienstrecht treten die selbständigen, dienstpflichtigen
und deshalb belohnten Ministerialen stark hervor und heben sich deutlich
von den nur geborenen ab. All diese Tatsachen, meine Damen und Herren,
aber finden wir wieder in den Dienst- und Dienstrechtsverhältnissen
Walthers von der Vogelweide, die man bisher nicht recht erklären konnte,
weil man eben diese Dienstrechte nicht heranzog, obwohl sie schon längst
seit Hunderten von Jahren bekannt sind.
Eine besonders entwickelte
Ministerialität - und damit noch einen dritten Beleg - begegnet uns
im Elsaß in der Oberrheinischen Tiefebene, wo nach dem Zeugnis des
großen staufischen Historiographen Otto von Freising die vis maxima
regni, d. h. das Kernland des Reiches, des Reichsgutes, der Reichsterritorialpolitik
überhaupt lag. Ein, wie so oft, auf den letzten kraftvollen Merowinger
König Dagobert (629-639) gefälschtes Straßburger Diplom
- ein regelrechtes Straßburger Dienstrecht des 12. Jahrhunderts übrigens
- bestätigt, genau wie in Weißenburg auch für diese staufische
Kernlandschaft, daß der geborene, aber unbelehnte Ministeriale freien
Zug hatte, sich begeben konnte, wohin er wollte, und seine Dienste jedem
anbieten konnte, dem er wollte. Dasselbe Straßburger Dienstrecht
aber sagt, daß er, wenn er von seinem Herrn ein Leben erhielt, zurückkehren
mußte, und daß er sich dann wieder in die potestas domini,
d. h. in die Herrschaft und Verfügungsgewalt seines Dienstherrn zurückzubegeben
hatte, daß er diesem alten Herrn Hofdienste leisten mußte,
die in Straßburg übrigens sowohl der Bischof wie der König
zugleich von ihm fordern konnten. Mußte er aber schwerbewaffneten
Kriegsdienst leisten, dann brauchte er das nur dann tun, wenn er 10 Hufen
Leben bekam; wenn er diese annahm, mußte er überall in den Krieg
ziehen, wohin ihn seine Herren schickten; nur mußten ihn Bischof
und König auf dem Kriegszug versorgen. Es ist interessant, daß
noch hinzugefügt wird, daß die Genossenschaft der Hofamtsinhaber,
also die Standesgenossen, die Pairs, die Pares, dazu ihre eigene Zustimmung
geben mußten.
Das
normale Dienstlehen des Reichsministerialen besteht aufgrund des geltenden
Weißenburger Dienstmannenrechts aus 3 Hufen, also aus einem Gut,
das ungefähr zwischen 100, 130 und 150 Tagwerk Wiesen und Felder enthält.
Das gibt dem frei verfügbaren Dienstmann eine bescheidene Existenz
und macht ihn für die Dienste des Herrn frei. Es ist nicht zu viel;
vielleicht wehklagt auch gerade deshalb Walther von der Vogelweide, daß
ihm das Geld nicht reiche; er war natürlich von dem Leben an den großen
Höfen, wo er zwar kein Leben bekam, aber viel Geld, etwas verwöhnt
- die reichen Herren (Mäzene) haben ihn immer schön mitkommen
lassen, wie jener Bischof Wolfker von Elmbrechtskirchen, der ihm in Zeiselmauer
einen schönen Pelzmantel - ein Pelicium - gab, als er ihn auf der
Straße traf.
Diese Hufe oder Hufen bewirtschafteten
abhängige Bauern, die also zunächst Leibeigene des Königs
waren und vermutlich es auch blieben, da der Reichsministeriale durch die
Belehnung zunächst wohl keine volle Verfügungsgewalt über
den Leib dieser abhängigen Bauern wie auch keine volle Verfügungsgewalt
über das Gut gewann. Ein Rest übrigens des alten servitium cotidianum,
des täglich nach Willkür dem Herrn zu leistenden Arbeitsdienstes
der Leibeigenen, aus deren adeligen Reihen die Ministerialen ja hervorgingen,
war es, daß nach dem Recht der Weißenburger Dienstmannen -
unsere Frauen haben im Krieg darüber sehr geseufzt - die Frauen und
Töchter der Dienstmannen zu Weißenburg verpflichtet waren, vor
der expeditio - vor der Heerfahrt - des Königs auf dem Königshof
in Weißenburg zu erscheinen, um dort die Rüstungen und die Kleider
auszubessern, die der König nach dem Krieg immer wieder einsammelte
und in seinen Rüstungs- und Rumpelkammern aufbewahrte und aufhob bis
zum nächsten Krieg. Weil gerade in Deutschland die adeligen Vasallen
durch die Erblichwerdung ihrer Lehen und lehenbaren Ämter und durch
deren Allodialisierung vom Senior, d. h. dem Lehensherrn zu unabhängig
geworden waren, griff man im Zeitalter des langsamen, aber noch lange nicht
abgeschlossenen Übergangs vom Personalitäts- zum Territorialitätsprinzip
in der politischen Welt und Herrschaftswelt von König, Adel und Hochkirche
auf die mit Leib und Gut unfreien, d. h. verfügbaren, zum Dienst des
Herrn geborenen, jederzeit absetzbaren Dienst-Mannen zurück, denen
man den verlehnbaren Grund und Boden sowie auch die lehensweise Nutzung
von Königsrechten und Regalen an Zoll, Maut usw. überließ
oder übertrug. Zweck der Heranziehung dieser adeligen Unfreien, die
sich schon wesentlich und verschiedentlich bewährt hatten in Krieg,
Verwaltung, Hofamt, war die Intensivierung, die Rationalisierung, die Modernisierung
der Herrschafftgewalt in geschlossenen Landkomplexen mit Mitteln eines
halben Lehnrechts und eines gesellschaftlichen und sozial gehobenen Hof
-Rechts. Es handelte sich dabei um den Versuch - vor allem der Spätsalier,
aber auch noch der Staufer, das Lehensrecht, das sich als untauglich erwiesen
hatte, einen deutschen Königsstaat aufzubauen, durch das Dienstrecht,
das viel stärkere Abhängigkeit begründete, zu überwinden
oder effektiver zu machen. Doch auch dies mißlang in Deutschland
und war ein Umweg zu dem am Schluß seit dem 14. Jahrhundert doch
notwendigen Amtsrecht kraft Delegation und Besoldung. Das Benifizium, das
Lehen, das Ministerium, das Dienstlehen mußten darum seit dem 13.
Jahrhundert - vor allem seit dem 14. Jahrhundert - dem Offizium, dem Dienstrecht,
weichen; daraus hat sich der moderne Verwaltungsstaat entwickeln können!
Meine
Damen und Herren! Die fränkischen Dienstrechte von Weißenburg
und Bamberg zeigen eine Phase der Entwicklung an, in der die Zugehörigkeit
zum ministerialen Stand bereits an alle Nachkommen eines Dienstmannes vererblich
war, also auch für Walther von der Vogelweide. Sie wurden jetzt zeugenfähig
vor Gericht, sie wurden zum Reinigungseid zugelassen, sie wurden vom Gericht
des Vogtes, ihres Herrn, befreit, wo an sich nur die reinen Leibeigenen
zu stehen hatten, und sie hatten sich in Zukunft wie auch der übrige
Adel nur noch vor dem Herrn zu verantworten und erhielten ein erhöhtes
Wergeld. Der Inhaber eines Dienstlehens konnte sein Amt und sein Lehen
nicht aufkündigen wie etwa ein adeliger Vasall, etwa weil er von Geburt,
wenn auch in einer sehr gehobenen Weise, unfrei war. Der nicht belehnte
Ministerialensohn hatte freien Zug, ein Zeichen der von den Folgen der
Unfreiheit, der Knechtsarbeit sich lösenden und befreienden Wirkung
des für den Adel geltenden Lehensrechts, für den nicht - wie
bei der Bauernscholle - gebundenen und freizügigen adeligen Unfreien,
der turmhoch über den freien Unfreien und den unfreien Unfreien stand.
Das sind die drei Klassen der Unterschichten des Volkes im Hochmittelalter.
Der nachgeborene Bauernsohn aber, der von einer Hufe kam, bedurfte genauso
wie der nicht schollegebundene Unfreie am Herrn- und Salhof der ausdrücklichen
Erlaubnis seines Leib- und Grundherrn, wenn er in die Stadt oder wenn er
auf fremdes Urbar in nahe oder ferne Neusiedelgebiete oder in den süddeutschen
oder norddeutschen Osten ziehen wollte; in Württemberg mußte
dieser in die Stadt ziehende leibeigene Bauernsohn selbst noch im 16. Jahrhundert,
wie uns die Lagebücher zeigen, an den außerhalb der Stadt sitzenden
Leibherrn noch eine leibherrliche Abgabe, einen Leibzins zahlen. In den
Städten wurde das Leibrecht auch bei Ministerialen - und an der Ausbildung
des Patriziats sind in erster Linie Ministerialen in den Städten beteiligt,
wie meine neuesten Forschungen vor allem gezeigt haben - meist dadurch
umgangen, daß der Stadtherr und die bürgerliche Einung dem von
außen Zuziehenden Freiheit nach Jahren und Tag garantierten. Entscheidend
war, daß der unbelehnte Dienstmannssohn vor allem aber, wenn er in
die Ferne ging, auf die Wanderschaft, einen Rechtsanspruch auf ein Dienstlehen
mitnahm. Die größere Festigkeit und Enge der angeborenen Abhängigkeit
des ministerialen Lebens bot eine volle Ausnützung des Herrscherrechts
über den in seiner Beweglichkeit zwar sehr weit befreiten, aber in
einigen Punkten noch gehemmten Dienstmann. Dadurch wurde der Zerfall des
Lehenswesens, des alten, adeligen Lehensgutes seit karolingischer Zeit
und der hochfeudalen Vasallität deutscher Prägung um einige Jahrhunderte
hinausgeschoben, aber nicht aufgehalten, denn mit zunehmendem politischen
und gesellschaftlichen Einfluß der Dienstmannen, die allmählich
dann das Heft in Deutschland in die Hand bekamen, die eigentlichen Minister
des Reichsregiments waren und das Reichsregiment selber führten, verwandelte
sich allmählich das Dienstlehen dann in ein echtes adeliges Lehen;
die Ministerialen wurden selbst zum Niederadel und zu echten Vasallen.
Meine sehr verehrten Damen
und Herren, ich mußte in gebotener Kürze ein Kapitel staufischer
Reichslandpolitik in Westfranken nach dem Befund der Quellen und ein zweites
Kapitel der gesellschaftlich-politischen Struktur der Reichsministerialität
aufgrund der fränkischen Dienstrechte des 11. und 12. Jahrhunderts
vor Ihnen ausbreiten und das deswegen tun, um die Grundlagen für einen
überzeugenden Schluß auf die Zusammengehörigkeit von Feuchtwangen
und Walther von der Vogel weide vorzubereiten.
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DKO II, 140 - Const. I, 678.
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Jaffé, Bibl. Rer. Germ. V. nr. 25; E. v. Guttenberg, Regesten d.
Bischöfe von Bamberg, Nr. 328 u. 329.
Erstellt am 29.3.1999 durch Hans Ebert