Karl Bosl - Feuchtwangen und Walther von der Vogelweide
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FEUCHTWANGEN UND WALTHER VON DER VOGELWEIDE

Von KARL BOSL
 
III.

Fest steht, daß kein bislang für Walther als Heimatland in Anspruch genommenes Gebiet oder Territorium Oberhaupt so viele konkrete Beziehungen für die Zuweisung des großen Liederdichters und Minnesängers aufweist und bietet wie dieser Vogelweidhof im Zusammenhang dieses Reichsgutkomplexes und Würzburgs. Da Walthers letzter Lebensabschnitt in und um Würzburg allerhöchster Wahrscheinlichkeit nach abläuft, muß man nur noch fragen, warum das geschah. Aus dem Recht der Weißenburger Dienstmannen vor allem und der Struktur des staufischen Reichsguts im westlichen Franken zog ich den Schluß, daß Würzburg, Weißenburg, Dinkelsbühl, Feuchtwangen, Rothenburg, so enge zusammengehören und so stark im sogenannten Herzogtum Rothenburg, einem Reichslandkomplex, zusammengefügt und in dasselbe eingeordnet sind, das Walther, der am Lebensabend in und um Würzburg erscheint, ohne Zwang zum Vogelweidansitz bei Feuchtwangen, der gut belegt ist, in einen zwanglosen, natürlichen Zusammenhang gebracht werden kann.
 
Walther war, das ist unabweisbar, ein nachgeborener Dienstmannensohn, und zwar ein Reichsdienstmannensohn aus dem Feuchtwanger Raum, der kein Lehen erhielt und darum freien Zug hatte, sich hinzuwenden, wohin er wollte, der aber einen Rechtsanspruch auf ein Lehen im Umkreis seiner Reichsgutzentrale oder seines Reichskirchenmittelpunktes, von dem er ausgegangen war, hatte, der also am Ende in seinen alten Heimatraum zurückkehrte und dort belehnt wurde. Man kann sagen, daß dies fränkisches Reichsministerialenrecht war, wie es im Recht der Weißenburger Dienstmannen, aber auch im Bamberger Recht und vor allem in dem großen staufischen Recht des Straßburger Dienstmannenrechts, bestens bezeugt ist. Auch der freie Zug behält also die personelle und die lokale Bindung an die patria, die Heimat, und an das Patrimonium, die alte Herrschaft. Wurde ihm ein Lehen gegeben, dann geschah es nach Weißenburger Dienstmannenrecht in der Patria und im Patrimonium und wurde er dorthin zurückberufen. Das läßt sich sogar beim Dienst der Reichsministerialen im Reichsitalien feststellen; wir haben eine Fülle von Belegen dafür, daß die Reichsministerialen, die in höchsten Ämtern in Italien verwendet worden sind, schließlich wieder in ihre Heimat zurückkehrten und dort auch das alte Gut wieder besetzten oder ein neues in dieser Umgebung erhielten.
 
Klare Elemente und Fakten, die allein hier belegt sind, sprechen also sehr deutlich für eine Zuweisung Walthers von der Vogelweide zur Vogelweide bei Feuchtwangen. Es spricht nichts dagegen, aber sehr viel Tatsächliches dafür, so viel Tatsächliches, das sich zwanglos in meine Beweisführung einfügt7.
 
So bleibt als letzte Frage die, warum Walther so lange kein Dienstlehen erhielt und warum dieser große Sänger sich offenbar so oft und auch erfolglos um ein Dienstlehen bemühen mußte. Diese Formulierung seines Spruches "Ich hän min lehen . . ." ist der deutlichste Beweis dafür, daß Walther einen Rechtsanspruch auf ein Dienstlehen hatte oder mindestens zu haben glaubte, denn sonst hieße ja die erste Strophe "Ich hän ein Lehen". Daß er kein Lehen solange erhielt, hat möglicherweise zwei Gründe. Erstens ging er vermutlich nach einjährigem Dienst in die Fremde, weil er kein Lehen erhielt. Es stand vermutlich damals keines zur Verfügung oder man brauchte seine Dienste nicht, da er vielleicht weder ein guter Krieger noch auch ein guter Hofamtsinhaber war. Daß er dazu lange Jahre ohne Lehen blieb, hat seinen Grund darin, daß er eben solange von zuhause weg war, sich im Grunde in der ganzen Welt herumtrieb, an den Fürstenhöfen mit seinem Sang Lorbeer erwarb, dort verpflegt, gekleidet und auch bezahlt wurde. Aber sein alter Leib- und Dienstherr, dem an handfesten Haudegen in erster Linie gelegen war, der dachte nicht mehr an ihn. Wir sind heute so sehr verwöhnt, daß wir beim Auftreten des Sängers oder eines Stars, ohne zu wissen, ob er etwas ganz besonders Schönes vorsingen kann, von vornherein schon klatschen. Das war in dieser Zeit nicht der Fall, meine Damen und Herren; der Sänger stand auf einer gesellschaftlich ganz niedrigen Stufe, er war eben Reichsministerialer, der zu dienen hatte; und "warum dichteten dann" sagt man sich "die hohen Herren nicht selber?" Ein hoher Herr im Sinn des Mittelalters und im gesellschaftlichen Prestigedenken dieser Epoche schreibt nicht, liest nicht, dichtet nicht, sondern läßt sich vorlesen, läßt sich schreiben; dafür hat er seine servi, seine Diener, seinen Hauskaplan; er läßt auch seine Kriege von anderen führen, er läßt auch von andren verwalten; das alles tut ein adeliger Herr bis hinauf zum König nicht. Darum ist auch ein in unserer heutigen Wertung so hochstehender Dichter wie dieser größte deutsche Minnesänger und Spruchdichter des hohen Mittelalters noch vom König, dem er ja keine Verwalterdienste, keine Hof dienste, keine Kriegsdienste leistet, leicht vergessen; denn einen Sänger konnte man ja vielleicht haben, aber einen tapferen Haudegen, den man in Italien in der Reichspolitik einsetzen konnte, den nicht. So mag also Walther sehr lange für seinen königlichen Herrn, der auf seinen Leib Anspruch hatte, vergessen gewesen sein; so mußte er sich denn auch beim König und Kaiser, d. h. bei seinem königlichen Dienstherrn, der ihn gar nicht mehr kannte, in empfehlende Erinnerung bringen. Woher sollten Otto IV. von Braunschweig oder der junge Friedrich II., der in Italien war, den Walther von der Vogelweide kennen? Und darum mußte er sich bei denen erst richtig wieder in Erinnerung bringen und er tat es so lange und so intensiv, bis der sehr gebildete, junge Kaiser Friedrich II. vor seiner Abfahrt nach Italien Walthers Rechtsanspruch vielleicht mit vielen Protektionen anerkannte und ihn in seiner alten Königsguts- und Reichsgutsheimat, in Franken, in dem Raum, den die Eheabredung von 1188 absteckte, ein Dienstlehen verlieh.
 
Aufgrund dieser vorgebrachten Tatsachen scheint mir dies die den Verhältnissen angemessenste und plausibelste Lösung zu sein. Man muß die Tatsache besonders würdigen - das möchte ich nochmals betonen, da das der germanistischen Literaturgeschichte offensichtlich noch nicht bekannt ist, daß ihm weder der Babenberger Herzog noch der Landgraf von Thüringen noch der Markgraf von Meissen oder irgendein anderer ein Lehen gab; Walther sagt auch nie, daß er irgendeinen dieser Herrn um ein Dienstlehen anging. Er hatte sie offenbar darum nicht angegangen, und das ist ein fast zwingender Beweis, weil er ein Reichsdienstmann von Geburt war und einen Rechtsanspruch auf ein königliches Lehen hatte, das ihm der Herrscher nach wiederholtem Drängen dann auch gab; ein Grund kann auch der gewesen sein, daß er sich schließlich als Lieder- und Spruchdichter in ganz Deutschland einen so großen Namen gemacht hatte, vor allem die Stauferpolitik mit seinen Sprüchen als Propagandist so tatkräftig unterstützt hatte, daß ihm der Stauferkönig nun den Willen tat, obwohl dieser alte oder auch müde, mürbe gewordene Mann, keine besonderen Ministerialdienste mehr leisten konnte, auch solche von ihm nicht mehr zu erwarten waren. Der König ehrte den großen Spruchdichter, indem er seinen Rechtsanspruch dort erfüllte, wo ihn Herr Walther hatte. Daß er dies bei Feuchtwangen tat, läßt sich damit erklären, daß der König hier auf Reichskirchen- und Reichsvogteigut der Feuchtwanger Kirche vermutlich zurückgreifen konnte und daher bot sich ja gerade den Staufern, auch Friedrich II., Reichskirchengut in ganz besonderem Maße an. Fünf Jahre vorher hat er ja der Regensburger Kirche mit einem sehr kühnen Dreh ihren Reichskirchenboden in Nördlingen abgenommen und dort die Reichsstadt Nördlingen oder, besser die königliche Stadt Nördlingen begründet. Und Nördlingen liegt ja auch von hier nicht sehr weit; und wenn in Würzburg noch eine Curtis steht, die einen Namen hatte, der auf den Vogelweider hinweist, so muß Walther von der Vogelweide nicht in Würzburg allein gewesen sein. Ich habe Ihnen genug Belege dafür gebracht, daß es gerade im 12. und im beginnenden 13. Jahrhundert sehr viele engste Beziehungen, auch Gutsbeziehungen, Verwandtschaftsbeziehungen - und die sind in jener Zeit auch Lebensguts- und Dienstgutsbeziehungen - zwischen Würzburg und diesem ganzen Raum gab. In diesem Falle wäre also der Vogelweidansitz noch nicht im Besitz des Vaters Walthers gewesen; das muß auch gar nicht gewesen sein; Walther kann ruhig einem Dienstmannengeschlecht zunächst auf einer anderen Burg, aber in diesem Reichsgutskomplex, entstammt haben. In diesem Falle wäre ihm dann der Vogelweidhof mit Burgsitz erstmals um 1220 übertragen worden, ohne daß seine Familie damit vorher schon etwas zu tun gehabt hätte. Die Germanistik aber, das ist meine Bitte an Sie, hätte noch Belege dafür zu erbringen, wann und wo in der mittelhochdeutschen Literatur erstmals der Zusatz "von der Vogelweide" aufgetaucht ist. Es wäre hier ein sehr breites Feld zu beackern, die bisherigen Stellen würden mir nicht genügen. Aber man sollte diesen Versuch sehr breit anlegen.
 
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin am Schluß meiner Beweisführung und kann nur hoffen, daß Sie diese nicht allzu sehr ermüdet hat, obwohl sie notwendigerweise trocken, vielleicht auch langweilig sein mußte. Vor allem ist es meine Hoffnung, daß es mir gelungen ist, die Hauptargumente so einfach vorzutragen, daß ich Sie auch von meiner begründeten Meinung überzeugen konnte.
 
Einen direkten Beleg, das betone ich nochmals, für die Abstammung des großen mittelalterlichen deutschen Minnesängers und Spruchdichters Walther vom Vogelweidhof bei Feuchtwangen gibt es nicht; aber es sind so viele Indizien, so viele Tatsachen und Verhältnisse anzuführen, die 1) zur Annahme zwingen, daß Walther an keinem der bislang genannten Orte geboren oder belehnt sein kann8, vor allem nicht in Südtirol, was eine romantische, keine reale These ist, und 2) auf Feuchtwangen und Würzburg so deutlich hinweisen, daß man heute schon sagen kann, daß der Vogelweidhof bei Feuchtwangen allein belegbare Beziehungen zu Walther hat und der Zuweisung Walthers zu Feuchtwangen nichts mehr widerspricht, sondern sehr vieles entspricht. Den Hauptbeweis und den Hauptgrund für meine Darlegungen lieferte Walther von der Vogelweide selber mit seinem Spruch, von dem meine verfassungs-, gesellschafts- und rechtshistorische Interpretation ausging. Und darum möchte ich mit diesem Spruch auch meinen Vortrag beschließen:
 
"Ich hab' mein Lehen, alle Welt höre es, mein Lehen, das mir zusteht und auf das ich Anspruch habe, und nachdem ichs nun habe, fürchte ich nicht mehr den Hornung an den Zechen und will die bösen Herrn alle desto minder flehen. Der edle König mild hat mich so wohl beraten, daß ich im Sommer Luft, im Winter Wärme haben kann. Die Nachbarn schau'n mich jetzt mit anderen Augen an, sie sehen nicht den Popanz mehr in mir, wie sonst sie taten" - d. h., nicht mehr den Bänkelsänger, den Liederdichter, sondern den Herrn, der ein Lehen und ein Schwert und einen königlichen Auftrag hat - "ich lebte arm, zulange, ohne meinen Dank, ich war so voll von Schäden, daß mein Atem stank, den hat der König rein gemacht und dazu meinen Sang".


7 Dazu gehört aus dem Bereich der Sprachgeschichte die schon vor Jahrzehnten getroff ene Feststellung des Germanisten Ernst Schwarz, für die ich ihm danke, daß die Sprache Walthers ostfränkisch sei.
8 Es ist mir wohl bewußt, daß in das Gestühl der Valentinskirche zu Kiedrich bei Wiesbaden Sprüche Walthers von der Vogelweide geschnitzt sind. Ich weiß auch, daß 1954 eine Reihe von Zeitungsaufsätzen den großen Spruchdichter für Frankfurt in Anspruch genommen hat (für diese Nachweise danke ich Herrn Hans Kleiner in Gersfeld/Rhön bestens). 1924 hatte A. Menninger die Wiege Walthers in Walthershausen bei Königshof en im Grabfeld gesucht. Keiner dieser fränkischen Orte kann jedoch das Gewicht der für Feuchtwangen und den Königsgutbezirk der Eheabrede von 1188 geltenden Belege und Indizien in Anspruch nehmen.
Erstellt am 29.3.1999 durch Hans Ebert