Band 6 |
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Das Schreckensjahr 1837
wird in den Jahrbüchern der Stadt Feuchtwangen unvergesslich bleiben!
Es hat uns entsetzliches Wehe und schwer zu beschreibenden Jammer gebracht! Was uns geschah, lässt sich erzählen, aber was wir empfunden und gelitten, jeder in seiner Lage und nach seiner Weise und Verhältnissen und Standpunkten, das vermag keine Feder ganz wiederzugeben!
Geben wir indessen eine genaue Darstellung der Ereignisse dieses Schreckensjahres:
14.
Februar
Es
war am Dienstag, den 14. Februar, abends 7 Uhr, als der schreckliche Ruf
"Feuer" das bisher so ruhige und friedliche Städtchen in Unruhe und
Schrecken versetzte. In dem Hause des königlichen Postexpeditors und
Stadtgemeindevorstandes Schaefer95
(er selbst war gerade als Landtagsdeputierter in München abwesend)
stand das Hofgebäude linker Hand, das unten Stallungen, oben der Heuboden
umschloss, in hellen Flammen. Von allen Seiten den Löschwerkzeugen
zugänglich, war das Feuer nach einigen Stunden gelöscht, und
noch am Abend konnte man durch den Eilwagen dem sorgsamen Hausherrn die
Kunde zusenden, dass alles gerettet und ruhig sei. Nur wenige erkannten
bereits die frevelnde Hand, die meisten hielten die Sache für Zufall
und beruhigten sich.
17. Februar
Aber schon am Freitag darauf,
den 17. Februar, früh gegen 9 Uhr, brannte das Hintergebäude
im Falkenwirtshause96,
dicht am Hofe des Stadtapothekers Schaefer gelegen, in lichterlohem Feuer,
und die Rettung war bedeutend schwieriger als das erste Mal. Dennoch gelang
sie unter Gottes gnädigem Beistand dem Mute, der Kaltblütigkeit
und dem regen Eifer unserer wackern Arbeiter, Mitbürger und herbeieilenden
treuen Nachbarn. In ein paar Stunden war alles geendet. Auf dieses Ereignis
wurden jetzt schon mehrere Köpfe und Herzen unruhig und mutmaßten
das Werk höllischer Bosheit. Andere, besonders ältere Einwohner
Feuchtwangens, die seit einem Menschenalter derselben biederen, friedlichen
und menschenfreundlichen Sinn kannten, konnte sich in so langer Zeit keines
Ausbruches wilder Rohheit oder Bosheit erinnern, wollten noch immer nicht
daran glauben.
Und als sich bald darauf die Nachricht verbreitete, man habe am frühesten Morgen vorher in diesem Stalle die Leute arbeiten hören, es habe die Kuh gekälbert (was jedoch nicht der Fall gewesen ist), da beruhigten sich die meisten, und man hielt auch diesen Brand für eine Folge von Fahrlässigkeit. Nur einige, namentlich der aus München zurückgekehrte Postexpeditor Schaefer, ahnte das Verbrechen. Da erschien der schreckliche Tag, der alles aus diesem noch wohltuenden Traum riss.
1. März
Mittwoch früh 5 Uhr
erscholl der Feuerruf, nachdem indessen einige Mal auch blinder Feuerlärm
uns erschreckt hatte. Die vom Rathaus heimziehende Nachtwache hatte in
Sonnenwirts Scheure Feuer gesehen. Es brannte vorn im Heu. Augenblicklich
gelöscht.97
Juden (mit Pferden zum Rossmarkt) hatten in Sonne und Krone übernachtet, reisten ab, der Knecht war nachher mit Laternen im Hauptstock gewesen. Da meinten die Ungläubigen, es möchte ein Funken verloren worden sein. Wir wollten das Schrecklichste nicht glauben. Aber wahrscheinlich hatte der böse Bube seine in der Krone übernachtenden Juden zu den anderen in die Sonne begleitet, war während der Abreise auf den Boden geschlichen und hatte den Brand hingeworfen. Dass man aber keine Spur davon fand?!
Wie der Bursche aber am 14. Februar früh in Falkenwirts Scheure kam (etwa durchs Gänglein hinten) bleibt ein Rätsel.
An demselben Mittwoch, den 1. März, nachmittags dreiviertel auf 3 Uhr, kam aus des Lammwirts-Scheure ein grässliches Feuer hervor. Der Rauch, pechschwarz, zog sich zuerst herunter tief über den ganzen Markt, es war Nacht, bis er nach einigen Minuten sich aufhob und turmhoch, tiefgrau in die Höhe wirbelte. Jetzt sah man erst das Feuer, das mit großer Schnelle sich ausbreitete. Von der Lammwirts-Scheure aus ging's rechts und links und vorwärts. Kronenwirts-Scheure, Post-Scheuer, Bäcker Neuberger98 (vis à vis vom Dekan), Schwarzländers drittes, dann zweites, später erstes oder Vorderhaus (zum Teil)99, die Seitengebäude von Lamm, Krone, endlich Kupferschmieds Gehlerts Häuschen100, Schuhmacher Städlers Häuschen101, daneben das Lamm102, Krone103, alles in Flammen. Indessen arbeiteten die Feuchtwanger abermals - männlich und tapfer.
Die benachbarten Löschmaschinen von Thürnhofen, Dürrwangen, Dinkelsbühl, Mariä Kappel, Oberampfrach, Unterampfrach, Kloster Sulz waren bald zur Hilfe da. Mehrere entfernte Spritzen kamen später.
Postverwalter Schaefer als Stadtgemeindevorstand ordnete mit Ruhe; Landrichter Leidner zwar sehr angegriffen und beängstigt, doch mit treuem Eifer. "Die Post muss gerettet werden", hieß es. Zwei kleine Spritzen wurden aufs Dach gegen Kronenwirt gebracht und wirkten vortrefflich. Den Winkel zwischen Post und Krone bestrich eine Hauptspritze. Zum Glück war das Kronenwirtshaus massiv gebaut. Am obern Eck bei der Kirche musste Schwarzländers erstes Haus gerettet werden. Die Mariä Kappeler und andere Spritzen arbeiteten hier vortrefflich. Überhaupt die Württemberger Feuermannschaft (militärisch geordnet) bewies großen Eifer und Fleiß.
In dem Gässchen zwischen den brennenden Scheure und Juden-Vorsänger Adler, Wagner Rühl, Hebamme Wörner, das vom Dekanatsgebäude in die Judengasse führt, wollten öfters einige Häuser brennend werden. Doch wurde jedes Mal sogleich gelöscht. Nachts um 10 Uhr war man des Hauptfeuers Meister. Doch dauerte die Arbeit und der Kampf mit den immer neu auflodernden Flammen bis 5 Uhr fort. Die Feuerglocke abwechselnd mit dem Horn ertönte von Nachmittag 3 Uhr bis früh 4 Uhr 13 Stunden lang unausgesetzt fort. Entsetzlich für die erschreckten Ohren und Gemüter!
Wie nur immer der edle Dichter Schiller im Liede von der Glocke den Feuerlärmen furchtbar schön schildert, so erwies es sich diesmal in Feuchtwangens Mauern. Das Geschrei der Männer, das Geheule der Weiber und Kinder, das eilige Hin- und Herkommen der Flüchtenden und Rettenden, das Gerassel der Löschwerkzeuge, der Feuerkübel, das Prasseln der stürzenden Mauern, das Krachen der Balken, das Flackern des Feuers, die bewegte Masse der Löschenden, der langen Reihen, dazu dieses schreckliche Getön der Feuerglocke und des Feuerhorns. Das alles war wahrhaft Entsetzen erregend. Schrecken, Angst und Schmerzen war allen angekommen! Wie Jesaja sagt Kap. 13, 8. Doch gearbeitet war meisterhaft worden, und neben des Allmächtigen Schutz ist der Eifer der Löschenden und die schnelle und treue Hilfe der Nachbarn zu hoch zu loben.
Beim Ausbruch des Brandes nachmittags 3 Uhr wehte ein scharfer südöstlicher Wind. Zum großen Glücke legte er sich bald und blieb dann auch diesmal, wie die beiden ersten Male ganz windstille. Die Abgebrannten wurden freundlich von den Mitbürgern aufgenommen. Mehrere richteten sich bei ihren Anverwandten ein. Der abgebrannte Kaufmann Schwarzländer erwies dem 3. Pfarrer das Freundschaftszeichen, zu ihm alles flüchten zu lassen und selbst zu kommen, sagend: "Ich wohne bei Ihnen!", was natürlich mit Freuden akzeptiert und ihm der untere Teil des 3. Pfarrhauses eingeräumt wurde.
Schrecklicher als die Feuerschrecken selber waren die Nachwehen. Auch den Unglücklichsten waren jetzt die Augen aufgegangen. Das Feuer war gelegt. Am andern Morgen begannen die Aufnahmsgeschichte und Nachforschungen des Landrichters Leidner, der durch dieses alles ganz erschöpft, höchst aufgeregt und krank wurde.
Nach einigen Tagen kamen die Agenten der verschiedenen Brandversicherungsanstalten und nahmen das Betreffende auf.
Es waren 16 und wenn man alles einzelne rechnen wollte, 18-20 Gebäude niedergebrannt oder stark beschädigt. Lammwirtsscheure, Bräuhaus, Wohnhaus, Kronenwirtsscheure, Stallungen, Bräuhaus, Wohnhaus, Postscheure, Seitenstallgebäude, rechts im Hofe gegen das Greifenwirtsgässlein zu. Dann zwischen Schwarzländer und Lammswirt das Halbhäuschen des Kupferschmieds Gehlert und das Halbhäuschen des Schuster Staedtler (die beiden verkauften nachher ihren Platz an den Lammwirt Haußelt), der also sein Haus bedeutend vergrößern konnte. Angst und Unruhe auf allen Gesichtern und in allen Gemütern. Jeder Glockenschlag schien die Feuerglocke, jedes Brüllen, namentlich der Kühe, das Feuerhorn, jeder Lärm Feuerlärm, jeder Laut, z. B. Hundsgebell, scheuchte die wenig Schlafenden auf. Die Angst unsres Herzens war groß! Da erkrankten viele, mehrere geistlich, andere leiblich. Viele wünschten sich ins Grab. Alle Ruhe war dahin, Geschäfte und Feldbau stockten. Reisende fuhren vorbei und mieden die sonst gern besuchte Stadt. Dumpfes Schweigen herrschte in den Gassen, Entsetzen auf allen Gesichtern!
12. März
Am Sonntag, den 12. März,
nachts, als es eben 10 Uhr ausgeschlagen hatte, so schlägt die Feuerglocke
an. Es schlägt mehr als 10 Schläge. Feuer hieß es wieder!
Die ganze Stadt stand wieder im hellsten Licht. Sonnenwirtsscheure stand
in vollsten Flammen. Zum Glück waren noch alle hiesigen Spritzen auf
dem Markt. Das Feuer wütete entsetzlich. In einem Augenblick schlug
es zu allen Fenstern der "Sonne"104
heraus. In die pechschwarze Nacht hinein türmte sich die himmelhohe
Feuersäule. Als es den Branntwein, auf dem Boden in einem Fässchen
stehend, ergriff, stieg die Feuermasse glänzend in die Höhe.
Als die Malzkörner anfingen zu brennen, stiegen sie alle einzeln
wie kleine Raketensternchen in die dunkle Nacht hinauf, fürchterlich,
aber schrecklich schön! Zum Glück tiefste Windstille. Diesmal
kam die Bürgerschaft spät herbei. Weil beim Anfang gleich das
Feuer so entsetzlich war (Ursache, weil das Stroh ganz los hingeworfen
über den ganzen Scheuerboden lag), so schien es in jedermanns Fenster
hinein, und jeder glaubte, es brenne in seiner Nähe und wollte zuerst
retten am eigenen Gute, im eigenen Hause.
Als endlich die Rettenden sich sammelten, wurden Gassen gebildet und tüchtig gearbeitet. Es war eine Gasse gebildet aus Spitalfärbershof105 und -brunnen zu den Häusern des Abelein und Supf. Da fährt die Thürnhofer Spritze herbei und mit den Pferden an Abeleins brennendes Haus106. In diesem Augenblick stürzten die brennenden Balken herunter zu den Füßen der Pferde. Dies fuhren zusammen, zittern und bewegen sich nicht vor Schrecken. Es war schauderhaft. Da das Feuer weit hinein gesehen ward, so kamen abermals von nah und fern Wasserspritzen herbei. Gearbeitet wurde tüchtig. Die benachbarten Häuser hinaufwärts wurden gerettet. Der Giebel des andern Eckhauses am Markt brannte öfters. Die Maurer und Zimmerleute retteten von den Dächern aus. Nach Mitternacht waren wir des Feuers Meister geworden!
Aber nun wurden die Nachwehen noch schrecklicher. Die Angegriffenen und Kranken wurden schwer leidend. Landrichter Leidner wurde aufs Krankenbett geworfen. Seine Familie (obgleich mit 16000 fl assekuriert) zieht mit Sack und Pack nach Ansbach. Er nach überstandener Krankheit auch dahin, wo er noch lange kränkelte und ärztliche Hilfe braucht. Und kehrt nun noch Ende November zurück, um sein Amt an den neuen Landrichter Lippert zu übergeben. Advokat Krafts Familie zieht mit Sack und Pack nach Nürnberg. Er selbst (der Ehrenmann) bleibt zwar, aber meldet sich nach Erlangen, wohin er auch im Laufe des Jahre kam.
Kaum erfährt der so tätige Minister Fürst Ludwig Wallerstein den letzten Brand durch unsern Stadtgemeindevorstand Schaefer, als er zwei seiner Hauptpolizeimänner, den Polizeikommissär Herr von Karg und den Gendarmen Hauptmann von Freys hierher sendet, um alles zu erforschen und anzuordnen. Noch hatte sich die Regierung in Ansbach wenig geregt, außer dass der Regierungsrat von der Heydte ein paar Mal hierher kam, um die Brandstätten zu besichtigen. Jetzt endlich wurde der Gendarmerie-Oberleutnant Hickel mit vermehrter Gendarmerie gesendet. Nachdem die beiden Münchener Herren Wachen angeordnet, strenge Polizeiordnung eingeführt hatten, verließen sie uns wieder, und Hickel arbeitet in diesem Geiste fort. Er und seine Gendarmen haben sich vielfach aufopfern müssen und fast Tag und Nacht keine Ruhe genossen.
Als der Minister von seinen Abgesandten nach Zurückkehr die näheren Verhältnisse erfahren hatte, so dekretiert er den ersten Assessor Brand in gleicher Eigenschaft nach Leutershausen und von dort (auf Bitten mehrerer Bürger) den ersten Assessor Schuhmacher107 nach Feuchtwang als Landgerichtsverweser, der am 1. April 1837 seinen Einzug hier hielt und mit der polizeilichen Macht und Ordnung, dann der Untersuchung und den späteren Bränden viel bei uns ausgestanden hat. Indessen wurde von Ansbach auch ein Kriminaluntersuchungskommissär hierher gesendet in Person des Stadtgerichtsassessors Greßbeck.
Unterdessen war, neben der Beängstigung der Gemüter und der stärksten Aufregung, der Gedanke und die Frage die schrecklichste: Wer ist der Feind in unsern Mauern? Wer ist der Brandstifter? Wo man ging und stand, in jedem Haus, an jedem Plätzlein, wurde diese Frage wochenlang aufgeworfen. Überall standen die Bürger zu 2, 4, 6 und mehr zuhauf und teilten einander ihre Befürchtungen mit.
Der Argwohn, der schreckliche, hatte ein weites Feld. Indessen wurden viele Zeugen verhört. Da auf einmal hieß es: Der rote Schreiner (Johann Balthes Dümmler, im mittleren Alter, Familienvater, fleißig und geschickt, aber bösesten Leumunds, früher schon eines Straßenraubes verdächtig) ist eingesetzt worden.
Es hatte nämlich der Zufall gewollt, vielleicht auch die rächende Nemesis, wegen früherer Frevel, dass am 1. März, während Lammwirt und sein Knecht und Leute auf dem Felde waren, der rote Schreiner in Lammwirtshaus arbeitete und kurz vor dem Brand 2 - 3 mal durch die Scheure gegangen war um zu Hause Bretter zu holen, und kurz vor dem Brand sah ihn Lammwirts zehnjähriges Söhnlein und der Hebamme Söhnlein108 auch da weggehen, als kurz darauf Feuer auf sie, die in der Scheure spielten, herunterfiel und sie die ersten waren, die Feuerlärm machten.
Das Unglück an diesem Tage, bei diesem Brande ist sehr groß, unbeschreiblich groß! Aber das Glück war doch wieder viel größer, denn unter den vielen Trümmern dieser Häuser hat nicht eine einzige Menschenseele ihr Leben verloren, wenngleich Ochsen und Schafe zu Grunde gegangen und verbrannt sind.
Am 12. März war der rote Schreiner nirgends gesehen worden, wohl aber vorher, kurz vor 10 Uhr vom Nachbar Schuster Schnell aus nach Hause gehen. Weil er aber schon gehört hatte, dass man Verdacht gegen ihn habe, so ließ er sich am 12. März nicht sehen. Von den Verständigsten der Stadt wurde behauptet: Ja so dumm ist der Rote nicht, dass er so plump dreingehet und das Feuer einlegen sollte, in einer Stunde, wo niemand im Hause war als er allein, und wo er so oft durch die Scheure ging.
Lammwirt Haußelt sagte selbst: "Ich kenn den Roten genau, er ist mir ein treuer Arbeiter. Das hat er nicht getan, aber ich darf's gar nicht sagen, die Leute glauben mir's nicht." So allgemein waren der Verdacht und die Wut.
Bald darauf wurde noch ein anderer Mann, auf den man Verdacht hatte, der Maurermeister Reiß, ein Mann, unbeliebt bei den Mitbürgern, schlimmen Leumund, gleichfalls gefangen eingezogen. Derselbe hatte am 1. März tüchtig gearbeitet. Als Kronenwirtshaus in vollsten Flammen war, stieg er noch oben in den Zimmern auf den brennenden Balken umher, um zu retten. Am 12. März aber (entweder weil er auch vom Verdacht gehört hatte, oder weil es ihn ärgerte, dass kein Abgebrannter seine Dienste verlangt hatte) ließ er sich an der Brandstätte kaum etwas oder fast gar nicht sehen.
Beiden Männern aber schadete die damalige Voraussetzung, die Brandstifter müssen der Zahl nach mehrere, und ihre Absicht müsse Herbeischaffung von Erwerb und Arbeit mit Rache verbunden sein! Aus dem hiesigen Fronfestgefängnis wurden sie nach Ansbach geschleppt, wo die Untersuchung fortgeführt wurde, bis nach den Bränden im Mai, nach mehrwöchentliche Gefangenschaft und nach geschlossener Generaluntersuchung, der Appellhof109 ihre Unschuld aussprach und sie nach Feuchtwang zurückkehrten.
Von nun an wirkten Stadtgemeindevorstand Schaefer, Landgerichtsverweser Schuhmacher, Oberleutnant Hickel, viele wackere Bürger, junge Leute, die sich freiwillig und unentgeltlich zur Nachtwache angeboten hatten, die Landwehrwache, die Gendarmerie eifrigst zur Hut und Beruhigung der Stadt fort. Viele Bürger stellten mit vielen Kosten eigene Wachen in ihren Häusern auf, und Feuchtwang glich einer belagerten Stadt.
Nur allmählich langsam beruhigten sich auch die Gemüter wieder etwas, bis auf einmal die 17 Hohnstunden hereinbrachen.
16.
Mai
Es
war Pfingstdienstag, 16. Mai, abends 7 Uhr, als abermals der Feuerruf ertönte.
Dasselbe Gewirren sprengte jede Gesellschaft dieses Tages auseinander.
Es brannte auf dem Markte zwischen Kirche und Rathaus im Konditor Meyerschen
Hause110,
wo der Heuboden und der Dachstuhl im Feuer stand. Nach wenigen Stunden
Arbeit war das Feuer gelöscht. Die Gesellen der Maurer und Zimmerleute
sind auf das Dach geklettert, haben die Ziegel eingeschlagen und durch
Schläuche gedämpft.
17. Mai
Allein am anderen Morgen,
nämlich mittwochs, den 17. Mai, früh 6 Uhr, ertönte
die Feuerglocke abermals. Man eilte auf den Markt, und Sternwirtshaus111
sah man in Flammen. Es war ungeheurer Hohn, denn dicht neben dem Heuboden,
wo das Feuer auskam, im oberen Zimmer, wohnten sämtliche Gendarmen.
Bis gegen 10 Uhr vormittags war das Haus niedergebrannt, und alle Nachbarshäuser
blieben gerettet. Kaum war man zu Hause und hatte sich zum Mittagessen
niedergesetzt, oder man wollte davon aufstehen, so geschah mittags 12 Uhr
vom Kirchturm der Feuerruf mit der Sturmglocke. "Es brennt schon wieder!",
riefen die beängstigten Gemüter. Im Falkenwirtshof stand die
Scheure, neben dem vorher abgebrannten Stallgebäude in Brand, doch
da nur wenig Stroh darinnen war, auch überall zukommen konnte, und
überhaupt noch alles in Bereitschaft stand, so gelang es der Arbeit
und dem Fleiß der Bürgerschaft, des Feuers bald Meister zu werden.
Dieser Hohn, dieses dreimalige Feuer, in 17 Stunden warf endlich eine Leuchtkugel in die finstere Nacht unseres Unglücks.
Nun wurde es ungefähr klar, was der Zweck sein konnte. Es konnten nun nicht mehr die gemeinen Leidenschaften sein, es musste nun etwas Raffinierteres sein, z.B. etwa Hohn, Mutwille, Bosheit, satanisches Gelüsten oder Pyromanie. Einige dachten an ein Komplott, was aber (da nie geraubt wurde) nicht denkbar ist. So erklärten viele die Sache! Andere meinten, so etwas sei ansteckend, die ersten Feuer hätten andere gelockt! Auch dies schien nicht psychologisch. Nur einer, denn stets trugen alle Brände einen Charakter. Der König Ludwig fragte Postexpeditor Schaefer: "Mein Minister sagte mir, es wären auch Schwärmer, Mystiker in ihrer Stadt? Sind die doch nicht gefährlich?" "Aber nein, es waren stille, wackere Leute." So schwankten die Gedanken hin und her, und das war herzangreifender als die Flammen selbst.
Am Mittwoch, mittags 10 Uhr, stand Pfarrer Glandorff bei Oberleutnant Hickel auf dem Markte und sagte: "Das gestrige Feuer kann nur da drüben herüber, aus diesem Laden auf Konditors Boden geworfen sein." Es war nicht möglich gewesen, dass ein Fremder ungesehen am hellsten Tage vom Markte aus auf den Meyerschen Boden steigen konnte. Daher unsere Vermutung, von dem daran gebauten Haus des Dr. Bernhold112 muss es notwendig hinübergeworfen sein. In diesem Haus aber wohnte, seitdem ihr Haus abgebrannt war, Kronenwirts Familie.
Da erfasste Herrn Hickel der Gedanke: "Es kann der böse Bube des Kronenwirts getan haben." Wilhelm Oettinger113, 16 Jahre alt, Sonntagsschüler, war der uneheliche Sohn der Kronenwirtin, einer geborenen Oettinger: Sein Vater soll ein Schreiber gewesen sein, einer der boshaftesten Menschen. Der Kronenwirt Wünschenmeyer hatte ihn nach der Heirat der Mutter überkommen, und die Verzärtlung der Mutter, die Schläge des Vaters, der ihn nicht leiden konnte, Onanie und Herzensbosheit hatten diesen Menschen total verdorben. Er war in allen Schulen der böseste Bube, zu allen schlechten Streichen aufgelegt, in vielen Sünden schon geübt, und hatte sogar mit dem Vieh seines Vaters einige Zeit vorher eine Spukgeschichte veranlasst und dasselbe durch Aufzöpfen der Mähne und Schwänze verhext gemacht, bis ihn einst in der Nacht der Knecht erwischte, und dem Gespensterwesen ein Ende machte.
Alle diese Bosheiten fielen der Bürgerschaft wieder ein, als dieser Knabe vor dem Untersuchungsrichter geschleppt wurde.
Schon früher, gleich nach dem ersten Brand, hatte Postverwalter Schaefer und andere auf diesen Knaben Verdacht. Allein durch das Unglück des roten Schreiners und des Reiß war der Bube wieder den Augen und Gedanken entrückt worden.
Leider verfuhr der Untersuchungsrichter bei der ersten Untersuchung zu leicht. Ließ den Knaben anfangs wieder heim, ohne zugleich Haussuchung zu halten. Erst nach ein paar Tagen wurde Haussuchung gehalten, und erst später derselbe gefänglich eingezogen. So ließ man ihm Zeit, sich zu bereiten. Entsetzlich!
Indessen ging doch vielen die Gewissheit auf: Jetzt ist der rechte gefunden, jetzt wird's nicht mehr brennen! Gestehen wird der verstockte Bösewicht nichts, den der ist abgefeimt in allen Künsten der Gaunerei; aber er ist's und kein anderer!" Folgende Punkte nämlich trafen bei diesem Buben, nur bei diesem, zusammen und steigerten den Verdacht bis zur höchsten Wahrscheinlichkeit, nämlich:
1. Bei ihm fand sich die Möglichkeit der Person, das heißt er ist die Person, die es könnte getan haben, bei der diese Tat möglich und wahrscheinlich ist, und hier ist ein von Jugend auf verdorbener und verstockter, verschlagener, durch Hurerei und Näscherei verrückter, und schon in vielen Bubenstücken geübter und erprobter Knabe. Ein Wirtssohn, der an den Tischen der Gäste gelauert, und was jetzt alle Zeitungen so gern ausposaunen, derlei Kunststücke schon oft erzählen hören und so fort.
2. Bei ihm fand man sich eine Möglichkeit des Motivs, das heißt was könnte dazu treiben? Das war die beunruhigendste Frage für uns. Nahrungslosigkeit? Raubsucht? Rachsucht? Aber keines dieser Motive hielt stand auf die einzelnen Fälle. Hier aber in diesem Knaben zeigte sich ein passendes alle Fälle bezeichnendes Motiv, wollüstiger, mit dem Geschlechtsdrang verbundener Kitzel, Feuerlust, Schadenslust, Pyromanie, eine Art boshafter Tatenlust, verbunden mit Hass gegen seinen Vater, Mutter und wohl gegen alle Menschen. Es machte ihm Wollust, die Menschen zu erschrecken, das Feuer, den Lärm mit anzusehen. "Was brennt besser, Schwefel oder Pech?" hatte er die Wäscherinnen gefragt. "Das muss man sagen, ein rechter Kerl ist es doch, der diese Taten tut so hinter dem Buckel der Gendarmen!" hatte er geäußert. "Unser Brand," nämlich der, wo sein eigenes Haus abbrannte, "am 1. März war doch der schönste", hatte er geäußert und dergleichen Äußerungen mehr.
3. Die Möglichkeit der Gelegenheit, des Überallhinkommens des Ortes etc. Eine der größten Schwierigkeiten blieb und bleibt die Frage: Wie war's möglich, dass der Bösewicht an alle diese Orte hinkam, ohne je gesehen zu werden? Die Schwierigkeit, bei allen anderen rätselhaft, löst sich am leichtesten bei diesem Knaben. Drei Brände, nämlich der vom 14. Februar, vom 1. März und der vom 16. Mai gingen von seinem eigenen Dache aus. Er durfte nur aus seinem Haus hinauslangen, vom Dachladen hinüberwerfen, von seiner Scheure in die Lammwirtsscheure hinüberschleudern (zwischen beiden war nur ein Bretterverschlag mit großen Öffnungen). Bei 2 Bränden war er und nur er kurz vorher ja nur wenig Minuten vor dem Ausbruche, im Hause gewesen, ja gesehen und angesprochen worden, nämlich am 17. Mai, früh und mittags. "Wilhelm, geh herein und iss mit uns", sagte die Falkenwirtin ein paar Minuten ehe das Feuer ausbrach. "Ich kann nicht, hab keine Zeit", antwortete er. "Ich rieche Schwefel", sagte ein Knabe im Sternwirtshaus. "Esel, warum nicht gar", antwortete er. Bei den übrigen Bränden wurde er zwar nicht gesehen, allein er hatte die unverschämte Gewohnheit schon lange her, sich in die Häuser einzudringen. Mit allen Knechten und Mägden war er vertraut. Auf die Herrschaft ging er frech zu und forderte im Namen seines Vaters, was meist erlogen war, ein Beil, Schaufel, Ketten oder gar ein Pferd. "Was willst du in meiner Scheuer?" sagte der Stadtmüller zu ihm, "gehst naus oder ich ..." Auch am Brand vom 17. Februar soll er im Namen seines Vaters bei Falkenwirt einen Bierhahnen verlangt haben. Gar leicht konnte er daher an den andern Brandtagen in die Häuser eingeschlichen sein. Alle Winkelchen waren ihm bekannt. Wäre er gesehen worden, hätte er eine Frage bereit gehabt.
4. Endlich löset sich in ihm noch die Möglichkeit einiger andern Unbegreiflichkeiten: Zum Beispiel warum ging das Feuer nie in der späten Nacht los? Da konnte er nicht wohl von Haus weg, musste auch fürchten, doch von jemand gesehen zu werden. Warum nie unter Stürmen? Aus ähnlichem Grunde, vielleicht aus kindischer Furcht. Warum nie außerhalb der Stadt in benachbarten Dörfern? Dort war er nicht bekannt, dorthin führte sein Weg nicht.
Je mehr wir diese und viele ähnliche Punkte unter uns im Gespräch erwägen, und solche mit ähnlichen Erscheinungen in unserer Zeit, wo Knaben als Räuber, Mordbrenner aufgetreten sind, vergleichen, desto mehr stieg in uns allen die moralische Gewissheit, er sei der Täter und es werde nicht mehr brennen.
Der Knabe wurde nach Ansbach geführt, Untersuchungsrichter Greßbeck verließ uns, um dort die Untersuchung weiter fortzuführen, und alles frohlockte und atmete leicht auf, als endlich nach monatelanger Untersuchung der königliche Gerichtshof das Urteil sprach: "Die Verdachtsgründe seien stark genug, um die Spezialuntersuchung einzuleiten."
17.
August
Drei
Monate nach dem letzten Brand kam die Botschaft hievon nach Feuchtwangen.
Alles hob die Köpfe wieder freier, die Luft atmete leichter, die Furcht
entwich, Ruhe und Freude kehrte wieder in die Häuser, in die beängstigten
Herzen zurück.
31. August
Nach schwerer Dienstzeit
erhielt auch Herr Oberleutnant Hickel nebst mehreren Gendarmen seine Abberufung
und verließ uns unter Beweisen unserer allgemeinen Liebe, Dankes
und Verehrung, die er sich durch seine Aufopferung, Eifer, Berufstreue,
umsichtiges Benehmen, und besonders durch seine Humanität erworben
hatte.
Auch der Untersuchungskommissär reiste ab.
Den Sommer über wurde nun auf sämtlichen Brandstätten tüchtig gearbeitet, die neuern Gebäude schöner und massiver als die niedergebrannten, stiegen aus den Ruinen hervor. Ein Zimmermannsspruch nach dem andern wurde von den Dächern herab gehalten, an den Feuerschrecken, der Menschenkunst und Gottes Gnade erinnert. Nach der Mooswiesenmesse hielten die meisten Familien den Einzug in ihre freilich noch nicht ausgetrockneten, ganz ausgeweißten Häuser, um einen freilich nicht angenehmen Winter darinnen zuzubringen.
Auch die große Stiftsglocke auf dem Wachtturm, welche als Sturmglocke so gar oft gebraucht werden musste, die Gemüter so vielmals erschreckte, wurde, nachdem man sie wegen der vielen Schrecken, die sie anzeigte und des Erschreckens wegen zum kirchlichen Zweck über ein halbes Jahr nicht mehr gebraucht werden konnte, beim Anfang des Kirchenjahres, am 1. Adventssonntage zum ersten Mal wieder angezogen und zum kirchlichen Dienst wieder verwendet.
Alles ging in Feuchtwangen wieder den altgewohnten Gang, nur, dass das Gespräch oft und immer wieder auf das erlebte Schreckliche zurückkam und alle Bürger begierig auf den Ausgang der Spezialuntersuchung harrten. Dieses Unglück, zu dem noch am Abend des 10. Juni, an einem Samstage, ein schweres Hagelwetter kam, welches wenngleich gottlob nur in einem sehr schmalen Streife, dennoch die ganze Pfarrei durchzog, nämlich von Gehrenberg herkommend, an Banzenweiler vorbei, an Leiperzell hinauf, Glashofen links lassend, über unseren Kappenzipfel weggehend, das Heilbronner Feld links vom Fuhrweg treffend, zwischen Thürnhofen und Oberahorn weggehend, gegen Wieseth, Bechhofen und die Altmühl zog.
Alles dieses Unglück hat natürlich auch Kirche und Geistlichkeit veranlasst, vielfach zu Trost, Wohltätigkeit, Beistand, Ausdauer und Gottvertrauen zu ermuntern. Hierzu wurden von allen 3 Geistlichen auch die Predigtgottesdienste benützt.
Auf ähnliche Weise wurden auch die übrigen Schreckenstage und namentlich noch am Jahresschlusse von 1837 von Seiten der Kirche und Kanzel angewendet.
Mag auch (wie immer und überall) während dieser Schreckenszeit sich auch manche schlechte Gesinnung kundgetan haben, so war dennoch im Durchschnitt eine edle und wackere Gesinnung vorzugsweise sichtbar.
Unsere Bürger arbeiteten mit Eifer, Fleiß, Mut und Lebensverachtung. Unsere Nachbarn kamen uns schnell und treulich zu Hilfe. Geraubt und gestohlen wurde im ganzen genommen nichts. Nur der Schwarzländersche Honig und seine Tabakpäckchen reizten.
Menschenfreundlich und mildtätig nahm man sich der Abgebrannten an und tat nach äften. Exzesse fielen nicht vor. Alles wirkte traulich zusammen.
Ein Zufall war bedauerlich und hat uns unverschuldet argen Vorwurf zugezogen.
Im Sommer von 1837 kam die Nachricht an, in Kaierberg brenne es. Die Stadtvorgesetzten, als sie die Nachricht empfingen, weil sie die Angst der Gemüter kannten, beschlossen, keinen Feuerlärm machen zu lassen, um nicht die alten Schrecken neu aufzuregen, und daher kam es, dass nur die Feuerspritze hinunterfuhr, keine Einwohner sich aber sehen ließen, was ihnen die dortige Bevölkerung, die an unsern Leiden so treulich teilgenommen hatte, sehr übel nahm. Und so ging denn auch diese traurige Jahr mit seinem Schrecken vorüber.
1. Dezember
Wurde der bisherige Landrichter
Leidner auf sein Verlangen in Ehren des Amts enthoben und der neue Landrichter
Lippert durch Regierungsrat von der Heydte auf dem Rathaus eingesetzt,
wobei Leidner, Heydte, Lippert und Schuhmacher passende Reden hielten.
Mittags folgte ein splendides Mahl auf der Post.
Betrübend war es den Freunden, dass dem braven Schuhmacher nach Übergabe des Amtes keine hohe Anerkennung durch Verleihung einer längst verdienten Landrichterstelle zuteil wurde. Doch kam solche im Juli 1838 nach, da er zum Landrichter nach Altdorf befördert worden ist.
Mit dem Beginn des neuen Jahres 1838 harrte nun alles der Entscheidung der Spezialuntersuchung entgegen, denn moraliae war bei niemand mehr im Zweifel, dass nicht der wahre Täter inhaftiert sei, zumal da es wirklich seit seiner Gefangennehmung aufgehört hatte zu brennen.
Indessen gingen bald nach Eintritt des neuen Jahres 1838 fatale Gerüchte um. Da der Bube durchaus leugnete und durch das jammervolle Kriminalverfahren zu keinem Geständnis zu bringen war, so hieß es, er werde nicht verurteilt werden. Noch hoffte doch alles, er werde wenigstens wegen Mangel des Beweises nur ob instantia entlassen werden. Da erschall ein Schrei des Entsetzens aus aller Munde, als am 19. März 1838 sich die Nachricht verbreitete: "Der hohe Gerichtshof habe den Burschen für unschuldig erklärt und freigesprochen, und er werde morgen kommen." Die Wut der Bürger war enorm. Einige wollten ihn totschlagen. Landrichter Lippert schickte einen Expressen nach Ansbach, bittend, ihn noch einige Zeit zurückzuhalten, bis die Gemüter etwas ruhiger geworden, was dann auch die dortige Polizeibehörde getan hat.
Am 22. März 1838 abends ward er hieher gebracht, und Landrichter Lippert ließ ihn seiner Sicherheit wegen auf der Fronfeste114 absetzen, wo er denn auch blieb bis zur Abreise nach Amerika. Und der Bube, freigesprochen vom Gericht und als unschuldig erklärt, lässt sich's gefallen, lässt sich noch monatelang einsperren, wohl nur aus bösem Gewissen, wohl der sprechende Beweis, dass er, nur er allein der Täter ist!
Unterdessen Beratung: "Was mit ihm zu tun?" Da kommt unser würdiger, in dieser ganzen Brandgeschichte besonders umsichtiger und tätiger Herr Dekan Esper auf den Gedanken: "Wir senden ihn nach Amerika!" Dekan wendete sich zuerst an einen amerikanischen Geistlichen, Herrn Pfarrer Schmidt aus Dünsbach bei Kirchberg, Professor am theologischen Seminar und Pfarrer zu Columbus, der Hauptstadt in Ohio, der damals auf Besuch bei seinem alten Vater war und auch seine hiesigen Verwandten besucht hatte. Dieser aber (aus Furcht, in Amerika seine Reputation zu verlieren) verweigert die Mitnahme eines solchen mutmaßlichen Bösewichtes. Indessen mittelt der unermüdliche Dekan einen wohlhabenden Bauern, Rattelmüller bei Schillingsfürst aus, der entschlossen ist, seinen beiden Kindern nach Amerika zu folgen. Dieser erklärt sich aus Menschenliebe gegen Feuchtwangen bereit, den Buben mitzunehmen. Der Bursche damit bekannt gemacht, lässt sich's gefallen und erklärt sich bereit zur Auswanderung. "Ich bin zwar unschuldig, aber die Leute glauben mir nicht!" sagte er.
Im königlichen Landgerichte wird nun der Vertrag mit Rattelmüller gemacht, der für 200 fl für ihn zu sorgen verspricht. Aber woher das Geld? Ein paar Mal wird Konferenz auf dem Rathaus gehalten zwischen den Behörden und seiner Mutter und Anverwandten, wobei sich das Weib wie ein wildes Tier beträgt. Sie kann (da sie durchs Brennen in so schwere Schulden gekommen ist) nichts hergeben, obgleich der Bub 500 fl Vorausvermögen hat. Endlich kommt man überein, dass die Stadtgemeinde diese 200 fl auf 8 Jahre unverzinslich herleihe. Und so reiset denn der Bube mit Rattelmüller und Konsorten (mit denen er zu Rothenburg zusammentrifft) wohin er am 19. Juni 1838 früh 3 Uhr von hier abfährt, glücklich nach Amerika ab. Am 25. Juli geht ein Brief von Rattelmüller ein und auch die Polizeibehörde in Bremen zeigt (auf Verlangen) an, dass der Bube am 6. Juli das amerikanische Schiff bestiegen habe - en voyage.
In seinem Briefe schildert ihn Rattelmüller als den bösartigsten Buben, der ihm je vorgekommen. Er habe ihm auf der Reise das Leben recht sauer gemacht, und es habe alle Geduld erfordert, auszuhalten. Aber auf dem Schiff soll er gezüchtigt werden, sobald er unartig sei.
"Ich schlief immer gut im Gefängnis", habe er gesagt, "nur in der Nacht vor einem Verhör konnte ich nicht schlafen." Er habe sich nicht gerade allzu viele Mühe gegeben, die Tat zu verschleiern.
Indessen war seit Eintritt dieses Jahres mit dem Stillstand des Feuers, mit der Detention des Bösewichts auf hiesiger Fronfeste und mit seiner endlichen Reise nach Amerika auch wieder Ruhe in Feuchtwangens Mauern und in die Herzen der Einwohner und Nachbarn zurückgekehrt. Viele, vor der Zeit durch diese Schreckenstage um ihr Leben betrogen, erlebten diese Zeit der Ruhe nicht mehr. Andere, durch die Schrecken und Anstrengungen in ihrer Gesundheit zerrüttet, litten noch lange fort. Doch auf den Trümmern der Zerstörung sind neue, schönere Gebäude hervorgetreten. Alle Herzen aber grüßen den Herrn, der uns in dieser großen Notzeit vor noch größeren Schaden behütet und endlich die Tage der Ruhe und des Friedens uns wieder geschenkt hat! Er wache ferner gnädig über Feuchtwangen und behüte es vor solchen Schrecken und Leiden für jetzt und immerdar!
Noch einige Merkwürdigkeiten des Jahre 1837
29.
Januar
Durchreise
des Prinzen August von Württemberg115
Frühmorgens verließ uns der bisherige 2. Pfarrer Pöschel, um die neue Pfarrei Bubenheim an der Altmühl zu beziehen. Die traurige Zeiten und die erschreckten Gemüter waren schuld, dass ihm nicht (wie es sonst immer hier üblich gewesen) Abschiedsfeierlichkeiten gegeben wurden.
10.
Juni
Durchzug
des schon genannten Hagelwetter die ganze Länge der Pfarrei, und verursachte
denen, die betroffen wurden, bedeutenden Schaden. Die durch die Brandunglücke
schon erschütterten Gemüter wurden durch dieses Unglück
heftig angeregt.
28. Juni
Durchreise der Königin
von Württemberg unter dem Namen einer Gräfin von Teck, macht
auf der Post Mittag.
6.
Juli
Durchreise
der Prinzen Friedrich und Hugo von Hohenlohe-Öhringen116
Durchreise des Kronprinzen Max von Bayern
7.
Juli
Durchreise
des Prinzen Karl von Bayern, Bruder unseres Königs
8. Juli
Geburtsfest unsrer Königin
Therese gefeiert
Marktplatz im 19. Jahrhundert
19. Juli
übernachtet der Kronprinz
von Schweden, Oskar117,
hier auf der Post
31.
Juli
Kam
die Königin von Württemberg auf ihrer Reise von Karlsbad nach
Stuttgart hier durch.
25. August
Gewöhnliche Feier des
Geburts- und Namensfestes unseres Königs Ludwig
6.
September
Durchreise
des Fürsten Gagarin - Petersburg118
7. September
Durchreise des Fürsten
Dolgornky - Petersburg119
24.
September
Höchst
merkwürdig war die Abschiedspredigt, welche am heutigen Sonntage der
bisherige Verweser der 2. Pfarrstelle, Ulmer (zum Inspektor und Lehrer
am neuen Waisenhause in Windsbach erwählt) gehalten hat.
Er, bisher ein ruhiger, zwar für Christum und Religion besonders nach der pietistisch-mystischen Auffassungsweise, treu eifernder und sehr eingenommener, dabei aber auch Würde und weises Betragen darlegender Mann, eiferte nun zu guter Letzt mit zelotischer Wut folgendes heraus in einer Art Kapuzinrede120: "Meine getäuschten Hoffnungen und Erwartungen!" Er habe Buße etc. erwartet und zwar: 1. Weil sein Freund Tretzel (der Erzzelot und Eiferer) hier gewirkt und ein kleines Häuflein dem Herren errichtet habe. 2. Wegen der Feuersbrünste aber seine Erwartung sei ganz getäuscht worden. Außer jenem Häuflein seien keine Christen in Feuchtwangen. Er mache sich schwere Vorwürfe, dass er aus Menschenfurcht geschwiegen habe, aber heut zum Abschied wolle er noch reden. Zwar habe er doch während seiner Verwesung mehr für Christum gewirkt als die andern, besonders der Abgegangene in 20 Jahren und so fort.
Dem ersten Feuchtwanger Ausgewanderten, dem 1836 nach Amerika übersiedelten Drechsler Eichner jun., folgt dessen alter Vater, 2 Schwestern nach und diesen noch Sonnenwirt Lux mit Familie, dann ein liederlicher Schreiner namens Binz, ein Bauernsohn und Weber Grauf aus Bernau und der junge Glaser Brunner von Feuchtwangen.
1. Oktober
Von diesem Tage an trat
der 3. Pfarrer Glandorff in den Genuss der 2. Pfarrstelle, in deren Haus
derselbe schon am 25. Juli eingezogen ist.
18.
Oktober
übernachtet
der Lord John Russel121
aus England hier auf der Post.
Hier folgt die schon etwas angegebene Einsetzung des neuen Landrichter Lippert.
1.
Dezember
Derselbe
wurde dahier auf dem Rathause eingesetzt, nachdem in Gegenwart des Landrichters
Leidner (der uns nach seiner Krankheit Ende März 1837 verlassen hatte)
die Expedition des Amts durch den tätigen Landgerichts-Verweser Schuhmacher
binnen 8 Tagen vollzogen war. Einsetzungskommissär war der Regierungsrat
von der Heydte, ein alter Feuchtwanger, der als preußischer Husarenleutnant
hier garnisonierte und seine Frau, eine Tochter des Posthalters Schröppel,
von hier gehabt hatte.
Die Einsetzung geschah auf hiesigem Rathause, wo sich Leidner, Lippert, Schuhmacher, Brügel, 2. Assessor, Praktikant Doederlein, das Schreiberpersonal, alle Gemeindevorstände und Pfleger, Dekan Esper, Pfarrer Glandorff, einige andere Geistliche des Bezirks, protestantisch und katholisch, Revierförster von Oelhafen, sämtliche Landwehr-Offiziere, Gendarmerie eingefunden hatte.
Der Regierungskommissar eröffnete den Akt mit kurzer Rede, der Aktuar verlas die Dekrete, der Kommissär sprach anerkennende Worte gegen Leidner. Dieser antwortete in guter Rede. Der Kommissär wendete sich sodann an den Verweser Schuhmacher, enthob ihn der Verwesung, und sprach das Anerkenntnis seines treuen Wirkens, so wie der beiden Funktionäre Roth und Doederlein und des Schreiberpersonals aus, worauf Schuhmacher mit ein paar Worten antwortete. Hierauf wendet sich der Kommissär an den neuen Landrichter Lippert, der darauf eine gehaltvolle Rede hielt, die schöne Stellung des Richters und Verwaltungsbeamten aussprach und das Beste gelobte. Hierauf stellte der Kommissär den neuen Landrichter sämtlichen Anwesenden vor, fordert die Gemeindevorsteher auf, dem neuen Landrichter durch Handschlag Pflichttreue zu geloben. Dieser Akt folgte. Hierauf wurde das Protokoll verlesen und von allen Anwesenden unterzeichnet.
Auf dem Markt marschierte sodann die Landwehrparade vor allen Anwesenden vorbei, worauf um 1 Uhr nachmittags ein großes Essen auf der Post erfolgte, wozu alle Anwesende die beiden Landrichter eingeladen hatten.
Die Ernte von 1837 war nicht sehr ergiebig, Heu und Grummet gab's wenig, daher die Bauern viel Vieh wegschaffen mussten aus Futtermangel. Daher die Fleischpreise sehr stiegen, Ochsenfleisch auf 10 kr, und das Korn schlug auch auf.
In der Abendrede des alten Jahres blickte der Sprecher Pfarrer Glandorff noch einmal auf das verhängnisvolle, schreckensreiche Jahr zurück und sagte unter anderm, indem er an sich die Worte richtete: "Ach, wer bin ich in so großen Ängsten?", die Schilderung der Jahresschrecken anknüpfte, und unserer Empfindungen, Leiden und Qualen dabei, auch das Schicksal der zwei unschuldig eingekerkerten Bürger erwähnte, darauf in der Anwendung, lasst uns hinaustreten aus dem Jahre der Heimsuchung und des Schreckens:
1. An Erfahrungen reicher,
2. an Grundsätzen,
Entschließungen und Tugenden stärker,
3. an Gottesvertrauen
und Glaubensmut fester und treuer.
Diese
3 Punkte an folgende 3 Worte anknüpfend:
1.
Habt die Brüder lieb,
2.
ehret den König und
3.
fürchtet Gott!
Und das Schlussgebet um göttlichen
Schutz und Beistand schließe auch diese Schilderung: Der Herr helfe
uns ferner gnädig hindurch durch die Stürme dieser Zeit, hinaus
aus diesem kampfreichen Leben hinüber in das Land der Ruhe und der
Herrlichkeit!