Band 5 |
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Bernhard Amenreich,
Stiftsorganist zu Feuchtwangen 1560 - 1564
von
Friedhelm
Brusniak*
Vor diesem grob skizzierten Hintergrund verwundert, daß noch kein Versuch unternommen wurde, die Musikgeschichte von Kloster, Stift und Stadt Feuchtwangen zusammenfassend darzustellen. Immerhin finden sich die Namen zweier Feuchtwanger Komponisten in internationalen Musiklexika: der berühmteste Vertreter der weitverzweigten Musikerdynastie Fürst, Georg Fürst (1870 - 1936), und der Stiftsorganist Bernhard Amenreich (um 1535 - um 1580). Während der ehemalige Militärmusikmeister Georg Fürst als Komponist zahlreicher Werke für Blasorchester, darunter des „Badonviller Marsches (Badenweiler)", auch heute noch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt ist, 5 ist Bernhard Amenreich in Vergessenheit geraten. 6Die anstehende Neubearbeitung des Lexikon-Artikels „Amenreich" für „The New Grove Dictionary of Music and Musicians" bot eine willkommene Gelegenheit, sich intensiver mit der Biographie des letzten Feuchtwanger Organisten vor der Auflösung des Stifts zu beschäftigen. 7 Der vorliegende Beitrag beschränkt sich auf eine knappe Kommentierung der bisher bekannten Nachrichten und neu eruierten Quellen und versteht sich als Baustein einer künftigen Musikgeschichte Feuchtwangens.
Die erste Erwähnung findet „Bernhardus Amenreich Heylpronnensis dioc. Herbipol." am 8. Juni 1553 aufgrund seiner Immatrikulation an der Universität Heidelberg. 8 Schon diese Feststellung verdient Beachtung, da sich zwei Tage zuvor „Wolfgangus Kuffer" und „Severinus Weinziel" aus Regensburg immatrikuliert hatten, von denen der erstgenannte, der spätere Regensburger Konrektor am Gymnasium poeticum in Regensburg und Stadtgerichtsassessor Wolfgang Küffer (um 1530 - 1566) als Besitzer einer umfangreichen handschriftlichen Musiksammlung schon früh das Interesse der Renaissancemusikforschung gefunden hat. Das Manuskript wurde in den Jahren 1557 - 1559 in Wittenberg, wo Küffer 1552 und ab 1557 studierte, unter Umständen aber auch in Heidelberg und Regensburg angelegt und gilt als typische Studentenhandschrift der Zeit und wichtiges Dokument mitteldeutsch-protestantischer Musiküberlieferung nach der Jahrhundertmitte. 9 Zwar ist Amenreich nicht in dieser Musiksammelhandschrift vertreten, doch darf vermutet werden, daß sich die musikliebenden Studenten aus Heilbronn und Regensburg näher kennengelernt und Erfahrungen ausgetauscht haben.
Über die Abstammung Bernhard Amenreichs konnte trotz intensiver Nachforschungen im Stadtarchiv Heilbronn kein direkter Beleg ausfindig gemacht werden. 10 So gehörte zwischen 1516 und 1550 ein „Bernhard Ammenreich" dem Heilbronner Rat an; mehr ist zu seiner Person allerdings nicht bekannt. Die Ratsprotokolle von 1538 nennen einen „Bernhart Amenreich". Dieser dürfte Ende November/Anfang Dezember 1538 verstorben sein, denn der Rat bestellt für seine Kinder zwei Vormünder. Von Beruf könnte er Schuhmacher gewesen sein, denn ein „Bernhart Amenreich" hatte vier Monate früher eine Eingabe seitens der Schuhmacher an den Rat gerichtet. Offen bleibt auch die Frage, welcher „Bernhart Ammenreich" 1539 geheiratet hat. Die Heilbronner Urkundenbücher nennen 1504 einen Schuhmachermeister „Berlin Ammerreych", 1514 einen Schuster „Bernhard Amerreich", 1521 das Ratsmitglied „Bernhard Amereich"; 1525 macht ein „Bernhard Amereich" Zeugenaussagen über die Ereignisse im Bauernkrieg, und 1529 ist ein Schuhmacher „Wolf Amereich" belegt.
Ebenso unbekannt sind die Lehrer von Bernhard Amenreich. Im Hinblick auf seinen ersten Studienort denkbar, vermutlich aber zu früh, ist der aus Heidelberg kommende, aus Eßlingen stammende Dionysius Graf, der als Cantor und Lateinschulrektor von 1540 bis 1545 in Heilbronn wirkte und 1551 Rektor der Universität Heidelberg wurde. 11 Grafs Nachfolger in Heilbronn waren ein „Meister Hans" (1545 - 1549), der wegen des Interims entlassen wurde, und ein Magister Cyriacus Frei, der 1553 starb. Amenreichs Orgellehrer könnten ein „Meister Lorenz", der von 1544 an als Organist und Orgelbauer in Heilbronn tätig war, und/oder dessen Nachfolger Jörg Ziegler, der von etwa 1550 bis 1560 nachweisbar ist, gewesen sein.
Am 12. November 1554 immatrikulierte sich Amenreich an der Universität Tübingen, wo er am 27. März des folgenden Jahres auch zum Baccalaureus artium promoviert wurde. 12 Bereits am 1. September 1555 wird „Bernhardus Amenreich von Hellpron" in Mergentheim „zu eim Cantor angenommen". 13 Offensichtlich fühlte er sich aber zu Höherem berufen, denn im Sommer 1557 bewarb er sich um das Cantorat in dem dem Musikzentrum Nürnberg näher gelegenen Hilpoltstein. Ob er die begehrte Stelle auch erhielt, ist unklar. Jedenfalls hatte ihm die damalige Autorität der Kirchen- und Schulmusik in Franken, der Nürnberger Rektor der Sebalder Lateinschule, Sebald Heyden (1499 - 1561), nach eingehender Prüfung in einem „Testimonium" vom 10. Juni 1557 bescheinigt, daß er „des Cantors stands zu Hi[l]poltstein ... genugsam tuglich sey". 14
Vermutlich 1560 - das genaue Anstellungsdatum ist nicht mehr nachweisbar - wurde Bernhard Amenreich Nachfolger des ersten Feuchtwanger Stiftsorganisten Johann Bockh. 15 Zu diesem Zeitpunkt muß Amenreich auch bereits kompositorisch tätig gewesen sein, denn 1561 brachte der „Organist Bernhard Ammenmacher" aus Feuchtwangen in Ochsenfurt seine „Octo tonus de Magnificat" zu Gehör. 16 Daß es sich hierbei tatsächlich um seine eigenen Werke gehandelt haben dürfte, erhärtet eine Nachricht aus Windsheim, wo „Berharden Amenreichen organisten Zu Feuchtwang" am 19. Januar 1562 zwei Taler verehrt wurden, „umb das er einem E.[hrbaren] Rath allhie die Magnificat uff die 8. tonos componirt, dedicirt hat". 17 1562 bewohnte Amenreich in Feuchtwangen ein baufälliges Haus, heute Zum Taubenbrünnlein 1, bevor er infolge der Stiftsauflösung 1563 im folgenden Jahr in ein anderes, allerdings „gantz enges" Häuslein am Vorderen Spitzenberg umzog. 18
Aus einem „Verzeichnis der Stiftspersonen mit ihrem Einkommen bei Einzug des Stifts 1563" ist zu entnehmen, daß der „Symphonista" Bernhard Amenreich im Besitz der Vikarie St. Elisabeth war, damit „die Praesents" hatte und „in Chor" gehen mußte. 19 Nach einem Brief des Markgrafen Georg Friedrich von Ansbach (1543 - 1603) an den Feuchtwanger Stiftsverwalter Johann Hufnagel vom 9. Juni 1563 erhielt der Organist nach Auflösung des Stifts zwanzig Gulden, zwei Ort und drei Pfennige Besoldung sowie sieben Sümera Korn, fünf Sümera Haber und zwei Tagwerk „Wießmath". Zugleich wurde festgestellt, daß „jetziger Zeit Kein Organist mehr uffn Stifft gehalten", sondern an seiner Statt ein Infimus (Lehrer) neben dem Schulmeister und Cantor angenommen werde. 20
Verständlicherweise suchte Amenreich unverzüglich nach einer neuen Arbeits- und Wirkungsstätte. Unter dem 18. August 1563 ist im Ratsprotokoll der Stadt Windsheim vermerkt, man wolle „Bernhardus Amemreich von Heilprunn" „zu einem schuoldiener unnd organisten annemen" und eine jährliche Besoldung von 72 Gulden bei freier Behausung geben. Vorsorglich ist festgehalten, daß man ihm jedoch „nichts leihen" könne. 21 Ob Amenreich diese Stelle tatsächlich antrat, ist nicht mehr nachweisbar. Zwar läßt ein weiterer Eintrag im Windsheimer Ratsprotokoll vom 15. November 1563 auf Verhandlungen schließen - falls der Organist „vom Fersten unnd Capittel ledig" -, doch wohnte er 1564 noch in Feuchtwangen. 22
Gewisse Hoffnungen scheint sich Amenreich auch auf eine Anstellung in der Württembergischen Hofkantorei gemacht zu haben, denn am 19. September 1564 schickte er vier gebundene Teile von Kompositionen des Magnificat, für die er vier Gulden und 32 Kreuzer erhielt. 23 Ob Bernhard Amenreich 1565 bei der Gründung der Hofkantorei unter Jakob Meiland (1542-1577) von Markgraf Georg Friedrich „nach Ansbach gezogen" wurde, wie Schaudig mitteilt, konnte noch nicht nachgewiesen werden, 24 scheint aber durchaus glaubhaft, da sein Name in der 1566 angelegten Besoldungsliste der Rektoren, Kantoren und Organisten der Stadt Feuchtwangen, die nach Aufhebung des Stifts zumindest einen Teil der Besoldung der ehemals rein stiftischen Amtspersonen aufbringen mußte, nicht mehr enthalten ist. 25 Lange scheint er allerdings nicht in Ansbach geblieben zu sein, denn am 20. Januar 1568 immatrikulierte sich „Bernhardus Amenreich, Heilbrunensis" erneut in Heidelberg. 26 Bereits am 7. Juli desselben Jahres bewarb er sich - allerdings wieder vergebens - als „Tenorist" von Nürnberg aus bei der Württembergischen Hofkantorei. 27 Doch hatte er in Heidelberg Kontakte zum pfalzgräfischen Hof aufgenommen und die Gelegenheit der Hochzeit von Landgraf Philipp d. J. (gest. 1583), Sohn des Landgrafen Philipp des Großmütigen von Hessen (1518-1567), mit Anna Elisabeth von der Pfalz (gest. 1609) genutzt, um dem hohen Paar im Januar 1569 ein Hochzeitslied (epithalamium) zu widmen. 28 Als der Landgraf und seine Gemahlin im August 1569 nach Rheinfels übersiedelten, zählte Bernhard Amenreich als Hofmusiker zum Gefolge. Er wurde zum „Begründer des musikalischen Lebens auf Rheinfels". 29 Noch im gleichen Jahr kaufte er in Nürnberg neue Instrumente, ein Klavichord und ein Virginal, sowie Notendrucke. Neben der Stelle des Hoforganisten hatte Amenreich auch die des Organisten der ehemaligen Stiftskirche zu St. Goar inne und leitete neben dieser und der sonstigen Instrumentalmusik auch die Hofkantorei. 1570 heiratete er in St. Goar, wo seine Frau ein Hausgrundstück besaß.
Im Juli 1575 verlor Bernhard Amenreich aufgrund eines Zerwürfnisses mit der St. Goaer Bürgerschaft seine Stellen. Anlaß des Streits war die von ihm veranlaßte Sperrung eines Weinbergzugangs durch sein Grundstück in der Stadt. Nach einer gewaltsamen Öffnung kam es zu einer Konfrontation, die mit der Gefangennahme Amenreichs endete. Zwar konnte er sich wieder befreien, geriet jedoch erneut in einen Konflikt, in dessen Zusammenhang er einen Bürger erheblich verletzte. Er wurde wieder gefangengenommen und in die Hospitäler Gronau und danach Haina gebracht, die zugleich als Gefängnisse dienten. Hier wurde Amenreich solange festgehalten, bis Kanzler und Sekretär des Landgrafen zwischen ihm und den St. Goaer Bürgern einen Vergleich herbeiführten, der ihn zwar seine rückständige Besoldungsforderung in Höhe von 300 Gulden kostete, ihm aber auch die Freiheit wiederbrachte. Als Voraussetzung dafür hatte er Landgraf Philipp Urfehde schwören müssen, die er jedoch in Gestalt einer „aller unthertenigsten Clag" beim Kaiser brach. Dieses Klagelied unter dem Titel „Querela de Landtgravio item Marchione Brandenburgensi Principibus" ist in Liedform mit dem Verfasserakrostichon „Bernardus Amenreich Heltprunnensis" in den Anfängen der 22 achtzeiligen Strophen erstellt (Übertragung im Anhang). 30
Bemerkenswert erscheinen nicht nur die Detailtreue und Eindringlichkeit, mit der Amenreich die Umstände schildert, unter denen er in der Gefangenschaft litt, sondern auch die ungewöhnlichen autobiographischen Aspekte eines Musikers aus dem Reformationszeitalter, der seinem Gram mit einer eigens zum Lied geschaffenen Melodie ergreifenden Ausdruck verliehen hat (s. Faks.). Die Liedweise ist ganz im phrygischen „Klageton" gehalten. Gleich zu Anfang wird die gesamte Tonleiter im Raum einer Oktave von unten nach oben durchschritten, um sowohl abbildend - Spitzenton e" bei „Himmel" - als auch emphatisch - höchste Intensität des „Aufschreis" - das Anliegen - „Bis in den Himmel Clage ich über Tyrannei" - vorzutragen. Dramatischer konnte er die Musik zu einem solchen Anlaß wohl kaum gestalten.
Faksimile - Melodie
Doch aus der Nachbemerkung zu dem Lied geht auch hervor, daß Amenreich die Gelegenheit zu nutzen suchte, zugleich noch den Markgrafen Georg Friedrich von Ansbach wegen seines Verhaltens bei der Auflösung des Stifts Feuchtwangen anzuzeigen. Bemerkenswerterweise bezeichnet er dieses als „Keyserliches Stifft von Carolo Magno" her - eine Formulierung, auf die Feuchtwanger Stiftspersonen stets Wert gelegt hatten, auch wenn die Klostergründung durch Karl den Großen keineswegs gesichert war - und sucht seinen „Querela" durch den Hinweis auf seine Heimat Heilbronn als Reichsstadt und seiner früheren Stellung in einem „Keyserlichen Stifft" Nachdruck zu verleihen. Eine Reaktion auf Amenreichs Eingabe ist nicht bekannt geworden.
Im
Wintersemester 1575 findet sich „Bernardus Amenreich Hailbronnensis famulus
studiosus artium" in Ingolstadt immatrikuliert - offensichtlich erneut
ein Versuch, über die Universität Kontakte zu knüpfen. 31
Mit einer Widmungskomposition an Kurfürst Friedrich III. (gest. am
26. Oktober 1576) vom 29. Januar 1576, einem homophonen Tenorlied-Satz
über „HERR Gott du lieber Vater mein", den „reim" des Pfalzgrafen,
bemühte sich der Komponist wieder um Beziehungen zum pfälzischen
Hof. 32 Dieser Versuch scheint jedoch
ebensowenig von Erfolg gekrönt gewesen zu sein, wie eine weitere Bewerbung
bei der Württembergischen Hofkantorei im gleichen Jahr. 33
Danach verliert sich die Spur des ehemaligen Feuchtwanger Stiftsorganisten
Bernhard Amenreich.
Für Hinweise auf Feuchtwanger
Quellen und Literatur sei den Herren Dietrich Weiß und Fritz Wünschenmeyer,
Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft für Heimatgeschichte in Feuchtwangen,
freundlich gedankt. Meinem Kollegen Ulrich Metzner, Gymnasium Feuchtwangen,
gebührt Dank für die Erstellung des Notendrucks.