Band 3 |
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Die Zeit der Gleichberechtigung von 1871 bis 1933
Im Jahr 1871, als durch die Reichsgründung die Gesetze des Norddeutschen Bundes auch für Bayern gültig wurden, war offiziell die volle Gleichberechtigung der Juden erreicht. Es hatte nun den Anschein, als sollten die jüdischen Deutschen sich bald nur noch vom Glauben her von den Mitgliedern der beiden größten Konfessionen, den Evangelisch-Lutherischen und den Katholiken, unterscheiden. In den Schulen saßen die Kinder aller drei Religionsgemeinschaften beisammen, Freundschaften entstanden, jüdisch Ärzte und Rechtsanwälte wurden von Christen konsultiert, und der Einkauf in den Lädenjüdischer Geschäftsinhaber war fast allen selbstverständlich. 117 Auch im sozialen Bereich engagierten sich Feuchtwanger Juden: So taten sich z. B. 1872 Meier und Sofia Holzinger 118 und 1874 Seligmann Gutmann 119 mit einer Stiftung in die Armenkasse hervor.
Feuchtwangen hatte im Jahr 1890 2373 Einwohner, davon 137 Katholiken (5,7 %) und 76 Juden (3,2 %), 120 die zum Rabbinat Ansbach gehörten. 121 In den letzten Jahren, seit 1861 die Freizügigkeit für alle Bürger Bayerns eingeführt worden war, waren viele Feuchtwanger Juden aus wirtschaftlichen Gründen in die großen Städte gezogen, so vor allem nach Nürnberg und Fürth. Andere waren nach Amerika ausgewandert. Ihre Heimatstadt blieb den meisten jedoch unvergessen. So hinterließ der in Feuchtwangen geborene Fürther Jude Jeremias Holzinger testamentarisch 1904 eine Wohltätigkeitsstiftung. Von deren Zinsen wurden bis zur Inflation nach dem 1. Weltkrieg arme Leute in seiner Heimatstadt ohne Ansehen der Konfession unterstützt. 122 Der in Feuchtwangen geborene Rechtsanwalt Dr. Theodor Stern war Gründungsmitglied des "Vereins der Feuchtwanger e. V. München". In einem Nachruf wird erwähnt, daß er ein "Landsmann in des Wortes edelster Bedeutung" gewesen sei und daß er seine Vaterstadt nie vergessen habe. 123
Die jüdischen Bürger nahmen regen Anteil am politischen und gesellschaftlichen Leben Feuchtwangens. So ist zum Beispiel Hermann Levy (Levi) auf der Foto-Mitgliedertafel von 1907 des Veteranen- und Kriegervereins abgebildet, 124 und der langjährige Vorstand der israelitischen Kultus gemeinde, der Eisenhändler und Bankier Simon Weihermann, war vor dem Ersten Weltkrieg geachteter Gemeindebevollmächtigter (Stadtrat). 125 Die Juden fühlten sich als Deutsche. Sie unterschieden sich auch in ihrem eigenen Selbstverständnis nur von der Konfession und den damit verbundenen Bräuchen her von den Protestanten und Katholiken Feuchtwangens. Ein Beleg dafür ist ihr Einsatz als deutsche Soldaten im Ersten Weltkrieg. Als Wehrpflichtige mußten Gustav und Gabriel Gutmann 1914 bzw. 1915 an die Front. 126 Auch der israelitische Religionslehrer Josef Wormser mußte am 1. Oktober 1914 "ins Feld" einrücken. 127 Im Feuchtwanger "Bayerischen Grenzboten" vom 6. August 1914 lesen wir folgende kurze Nachricht: "Wie wir erfahren, sind auch die beiden Söhne des Herrn Moritz Ullmann, Kaufmann hier ... in bayerische Regimenter als Kriegsfreiwillige eingetreten."128 Außer diesen beiden jungen Männern Alfred und Heinrich Ullmann war mindestens noch ein Feuchtwanger Jude freiwillig Soldat, nämlich Max Oppenheimer. In diesem Krieg starben er, einziger Sohn eines Gerbers und Lederhändlers und sein Cousin Julius Oppenheimer, Sohn eines Bäckermeisters, 1915 den "Heldentod fürs Vaterland", wie es in den Todesanzeigen heißt. 129 Daß dieses Vaterland, für das 10.000 jüdische Deutsche gefallen waren, keine 20 Jahre später die Juden mit Haß und Mord lohnte, hatte sich bestimmt keiner dieser Freiwilligen träumen lassen. Auf dem Feuchtwanger Kriegerdenkmal im Zwinger sind die Namen der beiden Oppenheimer eingemeißelt. Sie wurden in der Hitlerzeit nicht entfernt, wie es des öfteren anderswo geschah. Auch in der "Ehren-Chronik 1914 - 1918", einer gerahmten großen Bildtafel des Veteranen- und Kriegervereins aus dem Jahr 1931, sind beide verzeichnet. 130 An der Beerdigung von Max Oppenheimer, dessen Leichnam in die Heimat überführt werden konnte, auf dem jüdischen Friedhof in Schopfloch nahmen übrigens der Veteranen- und Kriegerverein und der Jungsturm Feuchtwangen zahlreich teil. 131 Das Verhältnis zwischen Juden und Christen schien gut.
Gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde der "Zentralausschuß der vereinigten Hilfsvereine vom Roten Kreuz" in Feuchtwangen gegründet, der Gaben für die Versorgung von Verwundeten und, was betont werden sollte, auch von gegnerischen Kriegsgefangenen sammelte. In entsprechenden Zeitungsaufrufen zeichneten der evangelische Kaufmann Carl May und der jüdische Bankier Isidor Stern gemeinsam als Verantwortliche. May nahm die Geld-, Stern die Sachspenden entgegen. 132 In der Synagoge fanden regelmäßig Bittgottesdienste für das deutsche Heer und das deutsche Volk statt. 133
Nach dem verlorenen Krieg beteiligten sich die Feuchtwanger Juden weiter am politischen und gesellschaftlichen Leben. So wurde der Bankier David Gunzenhäuser schon am 3. Januar 1919 Kassier der neugegründeten Ortsgruppe der Deutschen Volkspartei (DVP), einer rechtsliberalen Partei der Weimarer Zeit. 134
Die Zahl der jüdischen Bürger nahm jedoch in den zwanziger Jahren wegen der besseren Erwerbsmöglichkeiten in den Großstädten immer mehr ab. Im Jahr 1925 gab es nur noch 46 Israeliten in der Stadt. 135
Die klein gewordene jüdische Gemeinde hatte immer wieder Probleme mit öffentlichen Erlassen, die es ihr schwer machten, religiöse Gebräuche zu erfüllen. So bat sie 1925 um Befreiung vom neu in Feuchtwangen eingeführten Leichenhauszwang, da nach einem Gutachten des Ansbacher Rabbinats die rituellen Vorschriften dort nicht im ganzen Umfang erfüllt werden könnten. Ein Ausweichen, so der Stadtrat, sei möglich, wenn die Leichname innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Tod zur jüdischen Begräbnisstätte nach Schoptloch gebracht würden. Da das Bezirksamt auf der neuen Vorschrift auch für die Israeliten bestand, wurde ein gesonderter Raum für sie im Leichenhaus eingerichtet. 136
Ebenfalls 1925 erhielt die Israelitische Kultusgemeinde ein Darlehen über 500 RM von der Stadt zur Instandsetzung der Synagoge, die durch den Umbau des angrenzenden Heimatmuseums nötig geworden war. Im Stadtrat wurde dem entsprechenden Antrag mit 11 : 1 Stimmen entsprochen, da die Gemeinde klein und ihre Eigenmittel gering seien. 137
Daß nicht alle Feuchtwanger Juden gut situiert waren, läßt der Antrag von Adolf Wachsmann erkennen, der 1926 darum bat, ihm 3 RM Holzgeldschuld zu erlassen. Ihm selbst wurde dieser Wunsch nicht erfüllt. Der Stadtrat gab aber seiner kranken Mutter 3 RM Unterstützung, womit die Holzgeldschuldigkeit des Sohnes beglichen werden könne, wie das Protokoll der Sitzung berichtet. Drei Monate später konnte sich der Stadtrat doch noch dazu durchringen, Adolf Wachsmann den erbetenen Nachlaß zu gewähren. 138
Die meisten der in Feuchtwangen verbliebenen Juden waren jedoch angesehene Geschäftsleute, so Abraham Gutmann, der ein Textilgeschäft in der Hindenburgstraße besaß und regelmäßig im "Bayerischen Grenzboten", der Lokalzeitung, annoncierte. Löb Bergmann in der Unteren Torstraße war als Viehhändler weithin gut bekannt. Er starb 1930 beim Verladen von Vieh auf dem Feuchtwanger Bahnhof im Alter von 69 Jahren an einem Schlaganfall und wurde allgemein betrauert. 139
Seine 1898 geborene Tochter Fany hatte er nach Nürnberg auf ein Gymnasium geschickt, was damals für eine Feuchtwangerin noch recht ungewöhnlich war. Sie brachte es später zur Ärztin. 140 David Stern war Gymnasiast in Schwäbisch Hall. 141 Josef Wachsmann, Sohn des Feuchtwanger Goldarbeiters Markus Wachsmann, wurde 1919 von der Stadt Berlin als Lehrer für Naturwissenschaften eingestellt, wie damals noch stolz der "Bayerische Grenzbote" berichtete. 142 Dr. Markus Regensburger, 1871 in Feuchtwangen geboren, brachte es zum praktischen Arzt und Kinderarzt in Mannheim. 143 Der Rechtsanwalt Dr. Theodor Stern wurde schon erwähnt. Die jüdischen Einwohner von Feuchtwangen waren seit längerer Zeit sehr bestrebt, ihren Kindern eine gute Ausbildung zu geben. So waren 1879/80 von den acht Schülern der untersten Klasse der Feuchtwanger Lateinschule fünf jüdischeu Glaubens, zwei waren katholisch und nur einer evangelisch gewesen. 144 Der Bildungswille der Evangelischen, die mit über 90 % die Hauptmasse der Bevölkerung ausmachten, war also sehr wenig ausgeprägt. Hier ist auch eine der Ursachen für den hiesigen Antisemitismus zu sehen: Der einfache evangelische Handwerker in Feuchtwangen konnte, was Schulbildung betraf, mit den jüdischen Bürgern nicht mithalten. Es sei daran erinnert, daß Ähnliches auch für das Reichsgebiet insgesamt galt: Bis 1933 waren von den 40 deutschen Nobelpreisträgern 11 Juden.
Auf
die vielen anderen Ursachen einzugehen, die in der Weimarer Republik und
dann in der Zeit des Nationalsozialismus den Antisemitismus wieder aufleben
ließen, der mit den Vernichtungslagern den schrecklichen Höhepunkt
erreichte, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Nur die Auswirkungen
für die Feuchtwanger Juden sollen berichtet werden:
So
mußte sich schon im Januar 1919 Isidor Stern als langjähriger
Vorsteher der israelitischen Kultusgemeinde bei einer Wahlversammlung der
Bayerischen Volkspartei in Feuchtwangen gegen die Hetze gegen das Judentum,
die ihren Ausdruck auf einem Flugblatt dieser Partei gefunden hatte, verwahren.
145
Immer wieder gab es antisemitische Veranstaltungen. Man scheute auch nicht davor zurück, Juden dadurch zu demütigen, daß ihnen in Zeitungsanzeigen z. B. des nationalsozialistisch bestimmten "Völkischen Blocks" der Zutritt zu politischen Versammlungen dieser Vereinigung verboten wurde. 146
Die Ortsgruppe der NSDAP organisierte immer häufiger Veranstaltungen, auf denen die jüdischen Mitbürger diffamiert wurden. Schon im Juni 1926 hielt Julius Streicher, der spätere NSDAP-Gauleiter in Franken, eine fanatische und zügellose Rede "Der Jude und das deutsche Volk". 147
Im Jahr 1926 war die Feuchtwanger SA gegründet worden, die sofort im Sinne des Nationalsozialismus die Juden bekämpfte. Um die Weimarer Republik zu erhalten, traten einige Feuchtwanger Juden der neu ins Leben gerufenen Ortsgruppe des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold bei. Dieser demokratische, maximal 3 Millionen Mitglieder starke Kampfverband war überparteilich, bestand aber in der Hauptsache aus der Sozialdemokratie nahestehenden Personen. Der jüdische Religionslehrer Leo Neumann war einige Jahre Vorstand, dann Kassier und 1. Beisitzer; Schriftführer war Manfred Gutmann. Als weitere Mitglieder sind David Gunzenhäuser und Felix Oppenheimer bekannt. 148
Der jüdische Viehhändler Gabriel Gutmann brach im Jahr 1926 die Beziehungen zur städtischen Sparkasse ab. Er begründete seinen Schritt damit, daß im Stadtrat fast lauter Antisemiten säßen. An der Geschäftsleitung des Geldinstituts habe er jedoch nichts auszusetzen gehabt; er sei jederzeit gerne mit der Sparkasse verkehrt. 149 Ob folgender Beschluß des Stadtrats aus dem Jahr 1927 als Antwort auf Gutmanns Vorgehen gesehen werden kann, muß offen bleiben: Ratsmitglied Hornberger hatte beantragt, den für den Mooswiesenmittwoch angesetzten Viehmarkt wegen eines auf diesen Tag fallenden hohen israelitischen Feiertags zu verlegen. Das Gremium lehnte diesen Wunsch ab, um den Besuch der Mooswiese insgesamt an diesem Tag sicherzustellen. Es stellte fest, "... daß eine Viehmarkt-Verlegung nicht mehr in Frage komme."150 Damit wurde die jahrzehntelange Rücksichtnahme auf die jüdischen Viehhändler aufgegeben. 151
Mit folgendem Vorfall aus dem Jahr 1928 brüstete sich 1938 die NS-Hetzzeitschrift "Der Stürmer": Als der Judenhasser Julius Streicher in der Vereins-Turnhalle an der Ringstraße reden sollte, protestierten die jüdischen Sportler vergebens dagegen. Streicher sprach, und der Vorstand des Turnund Sportvereins schloß die Juden aus dem Verein aus. 152
Im gleichen Jahr verwahrte sich Gabriel Gutmann in einer Anzeige gegen eine Anschuldigung des "Stürmers". Es war ihm vorgeworfen worden, daß er an einer Kuh 100 Mark verdient habe. Gutmann stellte die Frage, weshalb der Mann, der dem Hetzblatt das mitgeteilt habe, nicht auch darauf hingewiesen habe, daß er an einem anderen Stück Vieh 200 Mark verloren habe. 153
Beim Nachruf für den 1928 verstorbenen Zweiten Bürgermeister und Ehrenbürger Carl May senior, der seit 1897 Stadtrat gewesen war, wurde besonders hervorgehoben, daß er sich um Arme und Waise aller drei Konfessionen gekümmert hatte. 154 Hier scheint zum letzten Mal menschliches Verhalten auch gegenüber Mitgliedern der jüdischen Gemeinde offiziell gelobt worden zu sein.
Bei einer Massenkundgebung auf der Mooswiese sprachen im Juli 1932 der Chef der NS-Reichsleitung, Hermann Göring, der spätere Reichsstatthalter von Bayern, Ritter von Epp und der Vorsitzende des NS-Lehrerbundes, Boeck, über die von den Nationalsozialisten angestrebte "Deutsche Schicksalswende", wie sie sich ausdrückten. Juden war der Zutritt zu dieser Veranstaltung verboten. 155 Im Oktober des gleichen Jahres sprach ein Augsburger Amtsgerichtsrat namens Schlumprecht über das Thema "Mit Hitler gegen die Reaktion". Auch diesmal scheute man sich nicht, in der Zeitungsanzeige anzugeben, daß Juden keinen Zutritt bekämen. 156 Aus falschem Demokratieverständnis heraus unternahmen die Behörden der Republik nur wenig gegen entsprechende Diffamierungen. Eigentlich wäre ein Amtsgerichtsrat mit einer so rechtsextremen Einstellung in einer Demokratie untragbar gewesen. Leider war dies kein Einzelfall, sondern ein Großteil der Juristen dachte ähnlich und fällte, wenn er ein Richteramt bekleidete, den Wünschen der Nationalsozialisten entsprechende Urteile.
Noch ein Jahr vor dem Machtantritt
Hitlers, 1932, vergrößerte sich die zum Bezirksrabbinat Ansbach
gehörende Feuchtwanger israelitische Gemeinde, deren Tote auf dem
Schopflocher Friedhof beerdigt wurden: Die Juden von Leutershausen und
Colmberg wurden ihr im Juli angeschlossen. In ihr betätigten sich
auf religiösem und sozialem Gebiet eine Heilige Brüder- und eine
Heilige Schwesternschaft und die schon erwähnte Holzingersehe Stiftung.
157
Bild
6:
Todesanzeigen jüdischer Soldaten
Max
und Julius Oppenheimer aus Feuchtwangen starben 1915 im 1. Weltkrieg.
(Aus
"Bayerischer Grenzbote" vom 23.1. und 5.5.1915.)
Bild
7:
Marktplatz von Feuchtwangen vor 1924
In
guter Geschäftslage ist rechts im Bild das Haus der Firma Hirsch Holzinger,
genannt "Stäffelesjud", mit der repräsentativen Treppe zu sehen.
Heute
Haus Marktplatz 10. (Foto: Sammlung des Verfassers.)
Bild
8:
Geschäftshaus des Moritz Ullmann.
Heute
Haus Untere Torstraße 6.
(Foto:
Archiv der Volksbank Feuchtwangen.)
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9:
Geschäftshaus der Firma Hirsch Holzinger.
Eigentümer
des Hauses war Siegfried Eppstein.
(Ausschnittvergrößerung
von Bild 7.)
Bild
10:
Jüdische Nfitgäeder im Turn- und Sportverein Feuchtwangen
Sitzend,
erster von links Abraham Gutmann, siebter von links Isidor Stern (gestorben
1925). Die Aufschrift auf dem Fahnenband, zu dem sich auch die jüdischen
Mitglieder bekannten, lautet: "Steh zu deinem Volke, hier ist dein angeborener
Platz". (Foto: Stadtarchiv Feuchtwangen, Akte 1250.)
Bild
11: Der Bankier Isidor Stern (1873 bis 1925) war noch in den zwanziger
Jahren ein wichtiges Mitglied des Turn- und Sportvereins Feuchtwangen.
(Ausschnittvergrößerung von Bild 10.)