Band 3 |
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Das Ende der Feuchtwanger Judengemeinde von 1933 bis 1938
Am 30. Januar 1933 übernahmen die Nationalsozialisten unter Hitler die Macht in Deutschland. Die ersten Maßnahmen gegen die Juden, nämlich der Aufruf zum Boykott ihrer Geschäfte am 1. April 1933, und das Berufsbeamtengesetz vom 7. des gleichen Monats, nach dem jüdische Staatsbeamte entlassen werden konnten, wurden durchgeführt.
Feuchtwangen besaß eine sehr rege, befehlstreue und auch fanatische Ortsgruppe der NSDAP. Schon bei den noch demokratisch durchgeführten Reichstagswahlen des Jahres 1932 (31. Juli und 6. November) hatten die Nationalsozialisten 76,4 % bzw. 68,7 % der Stimmen in der Stadt erhalten. 158 Die Wahlen vom 5. März 1933, die den anderen Parteien schon nicht mehr den freien Wettbewerb ermöglichten, sahen sogar 77,0 % NSDAP-Anhänger. 159 Die Ehrenbürgerwürde wurde Hitler schon am 22. März 1933 mit 11 : 1 Stimmen vom Stadtrat übertragen. 160
Seit Deutschland am 14. Juli 1933 zum Einparteienstaat geworden war, ließ der Feuchtwanger Stadtrat, der nun den Nationalsozialisten hörig war, wenig Möglichkeiten aus, die hiesigen Juden zu diskriminieren, auszugrenzen oder sonst zu benachteiligen. Im Juni 1933 war noch einem Antrag der Israelitischen Kultusgemeinde stattgegeben worden, den städtischen Leichenwagen weiter benützen zu dürfen. 161 Im Februar 1934 beantragte jedoch Stadtrat Carl May junior (1895 - 1935), am Fahrzeug ein christliches Symbol anzubringen, was das Gremium genehmigte. Außerdem wurden die Juden davon verständigt, daß ihnen ab sofort der Leichenwagen nicht mehr zur Verfügung stehe. Eine Bitte der Kultusgemeinde, den Wagen weiter benützen zu dürfen, lehnte der Stadtrat ab, und an den beiden Längsseiten des Fahrzeugs wurde je ein Kreuz angebracht. 162 Dieses christliche Symbol mußte sich also dazu mißbrauchen lassen, den Juden die Überführung ihrer Toten mit diesem Wagen unmöglich zu machen.
Als Felix Oppenheimer den Stadtrat 1933 um ein Armutszeugnis für Rechtsstreitigkeiten bat, lehnte dieser die Ausstellung ab. Er sei nicht in der Lage, dem Antragsteller zu bestätigen, daß er zur Bezahlung von Prozeßkosten nicht oder teilweise nicht fähig sei. Seine wirtschaftlichen Verhältnisse seien nicht geklärt, hieß es. Aber offenbar trafen die entsprechenden Bestimmungen klar auf Oppenheimer zu, da ihm auf Anordnung des Bezirksamts Feuchtwangen drei Wochen später doch noch ein Armutszeugnis ausgestellt werden mußte. 163
5. November 1932 |
18. November 1932 |
16. Dezember 1932 |
21. Dezember 1932 |
31.
Januar 1933
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12:
Zeitungswerbung jüdischer Firmen 1932/33
Die
große Anzeige der Firma Hirsch Holzinger vom 31. 1. 1933 war die
letzte eines jüdischen
Geschäfts
in der Lokalzeitung "Bayerischer Grenzbote".
"Bayerischer
Grenzbote" 29. Oktober 1932
"Bayerischer
Grenzbote" 29. Oktober 1932
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13:
Nationalsozialistische Anzeigen 1932
Antisemitische
Parolen wie "Juden haben keinen Zutritt" fehlten in den Anzeigen des "Bayerischen
Grenzboten" nie. wenn Parteigrößen wie Göring, von Epp
oder andere zu Kundgebungen erschienen.
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14:
Antijüdischer Aufruf des Kreisleiters Trommsdorff 1937
Dieser
Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte in der "Feuchtwanger Zeitung"
vorn 17. 12. 1937 hatte die Übergriffe vom 20.12.1937 zur Folge.
Spätestens seit dem erwähnten Boykottaufruf spürten die Feuchtwanger Juden den Ernst der neuen Feindschaft: Am 2. April 1933, einem Sonntag, postierte man vor sämtlichen jüdischen Häusern der Stadt, die durch Plakate kenntlich gemacht wurden, SA-Leute in Uniform. 164 Auch wenn es noch zu keinen Zwischenfällen kam - durch den Boykott ihrer Geschäfte wurde den Juden die Existenzgrundlage genommen. Seit April 1933 finden sich im "Bayerischen Grenzboten" keine Anzeigen dieser Firmen mehr. Die letzte Bekanntgabe der Gottesdienste der israelitischen Kultusgemeinde druckte das Blatt am 25. März 1933 ab. 165
Um die israelitischen Viehhändler zu treffen, nahm der Stadtrat 1934 in die Viehmarktsordnung folgenden Satz auf: "Der Handel in jüdischer Sprache ist verboten."166 Offenbar war damit die Schopflocher "Geheimsprache" Lachoudisch gemeint, die die dortigen Viehhändler benutzten. Aber damit noch nicht genug: Auf Antrag von Stadtrat Karl Ludwig, dem späteren NS-Bürgermeister, wurde im August 1935 beschlossen, Juden Oberhaupt nicht mehr bei Feuchtwanger Viehmärkten zuzulassen. 167
Einer der traurigen Höhepunkte der offiziellen antisemitischen Kampagnen war ein Tagesordnungspunkt der Stadtratsitzung vom 20. August 1935: Man beschloß die Anschaffung von vier Tafeln, die an den Ortseingängen aus Richtung Ansbach, Bechhofen, Crailsheim und Rothenburg aufgestellt wurden. Der diskriminierende Text lautete: "Juden sind hier unerwünscht. "168
Bis kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner am 20. April 1945 konnte man in der Stadt an einigen Scheunentoren Plakate mit der Aufschrift "Die Juden sind unser Unglück" sehen. 169
Es kann hier auch nicht unerwähnt bleiben, daß viele Lehrer des Feuchtwanger Bereichs vor allem ab 1933 eilfertig die nationalsozialistischen Ideen aufnahmen und sie an die ihnen anvertrauten Kinder weitergaben. Gefährlich waren aber vor allem die Verfasser von Schulbüchern und Lehrerhandbüchern, da sie auf die Jugend und auch auf ihre Kollegen einen um ein Vielfaches größeren Einfluß ausübten. Der Schulleiter eines heute nach Feuchtwangen eingemeindeten Ortes, der durch seine Bücher Einfluß vor allem auf die Kinder der Unter- und Mittelstufe der Volksschulen Bayerns nahm, betonte 1933 in einem seiner Werke, "... daß die Kommunisten und Juden unser Unglück sind ..."170, er lehrte den Schülern, woran man Juden erkenne: "Judennase, kurze Beine, klein und dick, schwarze Haare, frech." 171 Er "definierte" in primitiven Schlagworten, wer kein Bauer sein könne: "Wer Jude ist! Wer Säufer ist! Wer die Arbeit scheut! Wer Schulden macht! Wer Brandstifter ist! Wer nicht gesund ist!"172 Um den Landkindern der zweiten bis fünften Jahrgangsstufe noch deutlicher klarzumachen, was von den Juden zu halten sei, gab er folgende Zusammenfassung in vermeintlich kindgemäßer, aber eher anspruchs- und stilloser Sprache: "Sie wollen keine schwere Arbeit leisten, die meisten sind faul, stehen unter ihrer Ladentüre und gehen spazieren. Die meisten sind Wucherer, die den Bauern ausschmieren, ihm das letzte Stück Vieh aus dem Stall holen, ihn voll lauter Schulden machen." 173 Hetzerisch rief er zum Boykott auf: "Christen bei Christen kaufen! Juden bei Juden!" 174 Es ist sicher auch diesem Mann zuzuschreiben, daß in den nächsten Jahren das Verhältnis der Jugend zu den Juden gehässige Formen annahm; die ausgesäten Vorurteile trugen Früchte. 175 Eines bleibt noch anzumerken: Der zitierte Lehrer wurde schon im Jahr 1955 zum Schulrat für den Landkreis Dinkelsbühl ernannt. Seine aktive nationalsozialistische Vergangenheit hatte ihm nicht geschadet.
Mehrere der letzten jüdischen Familien Feuchtwangens verließen nun bald ihre Heimat. Bis 1938 folgten alle. Die meisten zogen vorübergehend in deutsche Großstädte, von wo aus sie auswanderten oder in die Vernichtungslager gebracht wurden. Hilfe war fast nur Selbsthilfe: So versuchten die israelitischen Gemeinden Feuchtwangen und Schopfloch im Jahr 1937 einen Englischkurs für zehn Personen durchzufahren. Sprachkenntnisse sollten die Auswanderung erleichtern. 176
Es ist erwiesen, daß in Feuchtwangen nur wenige versuchten, den jüdischeu Bürgern zu helfen. Auch Gutwillige, die das Vorgehen der Nationalsozialisten verurteilten, hatten Angst davor, sich gegen den Willen der örtlichen Machthaber aufzulehnen. Denunzianten, die einen "Judenfreund" ins Konzentrationslager bringen konnten, gab es genug. Leute, die sich für ihre bisherigen jüdischen Mitbürger einsetzten, mußten gewalttätige Übergriffe befürchten: Einmal wollte ein Feuchtwanger, SPD-Mitglied, eines späten Abends verhindern, daß zwei SA-Männer, die angetrunken ein Wirtshaus verließen und Steinwürfe auf Fenster von jüdischen Häusern ankündigten, dies taten. Weil er sie deswegen zur Rede stellte, verprügelten sie ihn auf offener Straße. 177
Besonders Gaststätten wurden als Schauplätze zur Beleidigung jüdischer Bürger ausgewählt. Wenn sich doch noch ein Jude in ein Wirtshaus wagte und abseits allein an einem Tisch saß, konnte dies für ihn zu einem Spießrutenlaufen werden: In angetrunkenem Zustand wurde eine "passende" Strophe des Landsknechtsliedes "Vom Barette schwankt die Feder" benützt, um den mißliebigen Gast zu vertreiben. Man erhob sich von den Plätzen, deutete mit den Zeigefingern auf den Juden und gröhlte höhnisch:
Folgende 16 jüdische Familien lebten 1933 noch in Feuchtwangen 179
Bergmann,
Untere Torstraße 28,
Eppstein,
Marktplatz 10,
Gunzenhäuser,
Marktplatz 12,
Gutmann,
Hindenburgstraße 6,
Gutmann,
Museumstraße 13,
Gutmann,
Webergasse 4,
Holzinger,
Bahnhofstraße 9,
Neumann,
Museumstraße 19 (Synagoge),
Oppenheimer,
Untere Torstraße 17,
Rammler,
Marktplatz 11,
Stern,
Gerbergasse 5,
Stern,
Museumstraße 6,
Stern,
Museumstraße 13,
Ullmann,
Untere Torstraße 6.
Wachsmann,
Herrenstraße 2,
Weihermann,
Spitalstraße 4.
Die zweite Phase der Judenverfolgung leiteten die sogenannten Nürnberger Gesetze ein. Sie wurden während des Parteitags der NSDAP am 15.9.1935 in Nürnberg erlassen. Die offiziellen Bezeichnungen beider Gesetze lauten: "Reichsbürgergesetz" und "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre". Das zweite verbot vor allem Ehen zwischen Juden und anderen Deutschen. Das Reichsbürgergesetz legte die Grundlage für die späteren Diskriminierungen, Verfolgungen und den Völkermord an den Juden. Es unterschied nämlich zwischen Staatsangehörigen und Reichsbürgern. Staatsangehöriger war jeder Deutsche, Reichsbürger waren nur die sogenannten Arier, nicht die Juden. Die vollen Rechte hatten nur die Reichsbürger.
Die Hetze verstärkte sich auch in Feuchtwangen: So wurde der Bankier David Gunzenhäuser 1936 fälschlich eines Vergehens gegen das Kreditgesetz angeklagt und verhaftet. Seine Frau kam in sogenannte Schutzhaft. Beide wurden, als die Vorwürfe nicht mehr aufrechtzuerhalten waren, freigelassen, aber aus Feuchtwangen ausgewiesen. 180
NS-Gauleiter Julius Streicher
in Nürnberg war einer der schlimmsten Judenhasser. Er gab die Wochenzeitung
"Der Stürmer" heraus, die übelste Hetzschrift gegen die Juden.
Das Blatt war Privateigentum Streichers und erzielte hohe Gewinne, so daß
er es zum Millionär brachte. Er hatte im Dezember 1937 wieder einmal
einen Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte erlassen. Die "Feuchtwanger
Zeitung", Lokalausgabe der nationalsozialistischeu "Fränkischen Tageszeitung",
die den "Bayerischen Grenzboten" abgelöst hatte, druckte am 17. Dezember
1937 eine Boykottanzeige des den Aufruf weitergehenden, in Bechhofen residierenden
Kreisleiters Trommsdorff ab. 181
In dieser angeheizten Stimmung kam es zu einer Aktion, die das Ziel hatte,
die letzten Juden aus Feuchtwangen zu vertreiben: "Zu
diesem Zwecke rottete sich in den A bendstunden des 20. Dezember 1937 -
etwa gegen 20 Uhr - auf den Straßen Feuchtwangens vor den Judenhäusern
eine Menschenmenge zusammen und forderte unter Johlen und Drohrufen die
Vertreibung der Juden, sodass schließlich die Polizei die Juden zum
Schutze ihrer eigenen Person in Schutzhaft nehmen mußte. War ein
Jude von der Polizei in Schutzhaft abgeführt, so wälzte sich
die Menge zum nächsten Judenhaus und tobte auch dort solange, bis
auch diese Juden in Schutzhaft genommen werden mußten. Die Menge
bestand zunächst im wesentlichen aus Angehörigen der H.J. (Hitler-Jugend);
später schlossen sich ihr auch Personen an, die nicht der H.J. angehörten,
auch Erwachsene, sodass sie schließlich auf etwa 400 Menschen angeschwollen
war, bis sie zu dem Haus des Juden Eppstein auf dem Marktplatz kam und
auch dort unter Toben und Schreien die Austreibung der Juden forderte.
... Schließlich kam die Polizei, um auch den Eppstein zum Schutze
seiner Person in Haft zu nehmen. Bei der Verhaftung des Eppstein wurden
von der Menschenmenge mit vereinten Kräften Gewalttätigkeiten
gegen den Eppstein und sein Eigentum begangen. Während sich die Polizeibeamten
noch im Hause des Eppstein befanden, drängte die Menge gegen das Haus
und druckte eine Türfüllung ein. Als Eppstein von den Polizeibeamten
abgeführt wurde, wurde er von der Menge sehr bedrängt;
er
wurde mit Schnee beworfen und auch geschlagen, ohne daß die Polizeibeamten
es verhindern konnten; denn sie konnten sich gegen die Übermacht der
Menge nicht durchsetzen, sie kamen vielmehr selbst in Bedrängnis ..."182
In Schutzhaft genommen worden waren: Ernst Holzinger, Gabriel Gutmann, Abraham Gutmann, Manfred Gutmann, Leo Neumann, Siegfried Eppstein. 183 Nach der Aussage von Marie Wirsching sagte ihr Mann, der einer der vier anwesenden Polizisten war, beim Nachhausekommen am selben Abend: "Es war ein Saustall heute, wenn wir nicht dagewesen wären, hätten sie die Juden erschlagen. " 184
Bei den eingeleiteten Ermittlungen konnten bezeichnenderweise weder Verantwortliche noch Beteiligte festgestellt werden. In der Gerichtsverhandlung des Jahres 1948 wurde ein Verfahren gegen nur drei Beschuldigte geführt. Da es sich dabei jedoch nur um Randfiguren handelte, konnten die Haupträdelsführer nicht festgestellt werden. 185
Diesen Ausbruch des Hasses nahmen die noch verbliebenen Feuchtwanger Juden zum Anlaß, der Stadt, die sie nun nicht mehr als ihre Heimat ansehen konnten, den Rücken zu kehren. Sie verkauften ihren Besitz, zum Teil schon erheblich unter Wert. 186 Am 20. Mai 1938 wurde die letzte jüdische Einwohnerin offiziell polizeilich abgemeldet; es war die damals 32jährige Fanni De Salvo, geborene Stern, die im Anwesen Museumstraße 6 gewohnt, sich aber schon einige Jahre in Meran (Südtirol) aufgehalten hatte. 187 Schon vorher, am 4. März 1938, hatte in der Turnhalle eine NS-Versammlung stattgefunden. Der Stellvertreter des Gauleiters Julius Streicher, Karl Holz, war Hauptredner gewesen. Die Lokalzeitung berichtete unter der Schlagzeile "Ein großer Tag für Feuchtwangen ... Unsere Stadt ohne Juden", daß am 2. März der letzte Jude weggezogen sei. Holz "... beglückwünschte zu diesem außerordentlichen Erfolg die ganze Stadt, die Gemeindeleitung und vor allem die alten Parteigenossen, deren unermüdliche Arbeit durch den Auszug der Kinder Israels am schönsten belohnt wurde." Die Synagoge stehe nun zur Versteigerung frei. Die Haßtiraden der Redner unterbrach, so das Blatt, "orkanartiger Beifall".188 Der 29. März sah eine weitere Kundgebung mit Karl Holz, in der die Stadt noch einmal als "judenfrei" gefeiert wurde. 189
Am 7. Juni 1938 übernahm Simon Brückheimer, der Gemeindelehrer von Marktbreit, die Ritualien der Synagoge, womit die jüdische Gemeinde in Feuchtwangen zu bestehen aufgehört hatte. 190 Im August 1938 erschien in der schon erwähnten Hetzzeitschrift "Der Stürmer" ein zweiseitiger Artikel, in dem Feuchtwangen als "judenfrei" gemeldet wurde.191 Für diese Veröffentlichung wurden mehrere Fotos der Synagoge aufgenommen, die wohl die einzigen erhaltenen sind. 192
Das nun verwaiste Gebäude neben dem heutigen "Fränkischen Museum" (früher "Heimatmuseum") in der Museumstraße brannte am 10. November 1938 ab. Die "Feuchtwanger Zeitung" brachte an diesem Tag folgende nichtssagende Nachricht: "Feuchtwangen 10. Nov. Heute früh gegen 6 Uhr brach in der hiesigen Synagoge Feuer aus, wodurch das ganze Gebäude eingeäschert wurde." 193 Wie war es zu dem Brand gekommen? Die Ermordung des Legationssekretärs von Rath in Paris durch einen 17jährigen polnischen Juden nahm Goebbels im Einverständnis mit Hitler zum willkommenen Anlaß, die antijüdischen Maßnahmen radikal zu verschärfen. In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 zerstörten SA- und andere Parteitrupps im ganzen Reich mindestens 267 Synagogen, schändeten jüdische Friedhöfe und plünderten rund 7500 jüdische Geschäfte. Viele jüdische Deutsche wurden verletzt, mindestens 91 erschlagen. Fast 30.000 Juden wurden in die Konzentrationslager gebracht. Die Sachschäden des 9. und 10. November betrugen mehrere 100 Millionen, allein die Fensterglasschäden beliefen sich auf 6 Millionen Mark. Von daher bekam dieses Pogrom den zynischen Namen "Reichskristallnacht". Die angerichteten Schäden mußten die Juden selbst beseitigen, zudem wurde ihnen eine Geldbuße von einer Milliarde Reichsmark auferlegt.
Die Vorgänge in Feuchtwangen spielten sich laut der Urteilsschrift vom 15. und 17. Dezember 1948 (wörtliche Abschrift siehe Beilage 7) folgendermaßen ab: 194
Am 10. November 1938 morgens zwischen 3.30 Uhr und 4.00 Uhr wurde der hauptamtliche Kreisgeschäftsführer der NSDAP in Feuchtwangen, Karl von Furtenbach, von dem SA-Standartenführer König, der Adjutant des Gauleiters Streicher war, von Nürnberg aus angerufen. Er beauftragte von Furtenbach, dem SA-Führer von Feuchtwangen zu befehlen, daß im Kreisgebiet die Synagogen abzubrennen seien. Bis 8.00 Uhr müsse Vollzug gemeldet werden. Von Furtenbach verständigte den SA-Führer von Feuchtwangen, Sturmführer Ludwig Habelt. Dieser hatte Bedenken wegen der Lage der Synagoge im dichtbebauten Altstadtgebiet und bat ihn, auch den Bürgermeister und Ortsgruppenleiter der NSDAP Karl Ludwig zu verständigen und auf die Polizeiwache im Rathaus am Marktplatz zu bitten. Dieser ließ nach seinem Eintreffen den Feuerwehrführer August Bortschy, den städtischen Vorarbeiter Georg Beckler, den Bezirksfeuerwehrführer Fuchs, Landrat Dr. Richard Heinz sowie den Hausmeister des Rathauses, Ernst Bretzner, zu sich rufen. Ludwig eröffnete den Hinzugekommenen den Brandstiftungsbefehl der SA-Führung und tat Einwendungen ab, indem er sich auf diesen berief.
Der Bürgermeister gab nun seinen Untergebenen Beckler und Bretzner den Befehl, die Synagoge anzuzünden. Er trug Beckler auf, aus der neben der Synagoge gelegenen Scheune des Bauern Ernst Gögelein Stroh zu holen und auf dem Dachboden des jüdischen Gotteshauses zu deponieren. Bretzner sollte das Stroh mit einer Kanne Petroleum übergießen. Die Anordnungen wurden ausgeführt, und Beckler legte entsprechend dem Befehl des Bürgermeisters das Feuer.
Die alarmierte Feuerwehr löschte nicht, sondern schützte nur die benachbarten Gebäude, vor allem das Heimatmuseum, vor Funkenflug. Die Synagoge brannte vollkommen aus und wurde 1939 niedergerissen. Die Abbrucharbeiten mußten auswärtige Juden verrichten. 195 Im Jahr 1948 (das Ermittlungsverfahren hatte schon 1946 begonnen) gab es für vier Personen einen Prozeß beim Landgericht Ansbach. Der Hauptbeschuldigte, der ehemalige Bürgermeister Ludwig, erhielt 18 Monate Gefängnisstrafe wegen eines Verbrechens der Brandstiftung. Die drei anderen Angeklagten wurden wegen Beihilfe zur Brandstiftung zu weiteren Gefängnisstrafen verurteilt, nämlich von Furtenbach zu zehn Monaten und Beckler sowie Bretzner zu je fünf Monaten. Sturmführer Habelt war im Krieg gefallen. 196
Weitere Nachforschungen haben inzwischen ergeben, daß der Synagogenbrand den Verantwortlichen in Feuchtwangen, vor allem dem Bürgermeister und Ortsgruppenleiter Ludwig, dem Kreisleiter der NSDAP Trommsdorff und dem Landrat Dr. Heinz gerade recht kam. Aus einem Schreiben des Bezirksamts Feuchtwangen vom 19. September 1938 kann entnommen werden, daß der Bürgermeister im Einvernehmen mit den erwähnten Stellen den Abbruch der Synagoge anstrebte, um den Garten des Heimatmuseums erweitern zu können. Die Synagoge wurde deswegen als Fremdkörper, der das Ortsbild verunstalte, hingestellt; Versuche des Verbands Bayerischer Israelitischer Gemeinden in München, das Gebäude an interessierte Privatleute zu verkaufen, wurden von der Stadtverwaltung und dem Bezirksamt verhindert. Dieses Vorgehen wurde von der Regierung von Oberfranken und Mittelfranken sogar gerügt. 197 Durch die Vernichtung des Gebäudes erübrigte sich ein weiteres Blockieren, es waren vollendete Tatsachen geschaffen worden.
Nach dem Brand der Synagoge wurden mehrere auswärtige Juden aus Wittelshofen und Mönchsroth im Landkreis Dinkelsbühl ins Feuchtwanger Gefängnis gebracht. 198 Dort wurden sie von der aus Feuchtwangen stammenden Bechhöfer Jüdin Betthy Steindecker besucht, die ein Gepäckstück bei einer Bekannten eingestellt hatte. Es wurde ihr kurze Zeit später von dieser Frau nachgetragen. Beim Faschingszug am 21. Februar 1939 wurde der Hilfsbereiten eine besondere Spottnummer gewidmet, weil sie Juden geholfen hatte. 199 Dieser Faschingszug war seit 40 Jahren der erste, der wieder in Feuchtwangen durchgeführt wurde. Der Berichterstatter der "Feuchtwanger Zeitung" höhnte: "... und ein echter Schmul führte den Zug der nach Palästina auswandernden Hebräer."200
Am 11. 4.1939 verkaufte der Verband Israelitischer Kultusgemeinden in Bayern als Vertreter der früheren Israelitischen Gemeinde Feuchtwangen drei Grundstücke, die in ihrem Besitz waren, darunter das der Synagoge, um 500 Reichsmark an den Volkskunstverein. Die Summe war nur symbolisch, bezahlt wurde davon nichts. 201 Heute befindet sich an dieser Stelle der Erweiterungsbau des "Fränkischen Museums", des früheren Heimatmuseums.
Auch als in Feuchtwangen
keine Juden mehr lebten, hörten die verbrecherischen Hetzkampagnen
gegen sie nicht auf: So schrieben ein evangelischer Pfarrer, der als Vertreter
von Januar bis Oktober 1941 in Feuchtwangen war und der schon erwähnte
Schulleiter eines heute eingemeindeten Dorfes gemeinsam einen Hetzartikel
gegen die Juden für die "Fränkische Zeitung". 202
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15: Synagoge im Jahr 1938
Diese
Aufnahme entstand für einen Artikel in der NS-Hetzzeitschrift "Der
Stürmer". (Foto: Stadtarchiv Nürnberg E 9/33 St. A. 73/1)
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16:
Religionszimmer der Synagoge im Jahr 1938
Das
Zimmer für den israelitischen Religionsunterricht war mit einer Wandkarte
von Palästina und einem Bild Mose mit den Gesetzestafeln ausgestattet.
Weiteres siehe Bild 15! (Foto: Stadtarchiv Nürnberg, E 9/33 St.A.
73/2)
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17:
Portal der Synagoge im Jahr 1938
Eine
Glasscheibe des leerstehenden Gebäudes ist durch Steinwurf beschädigt.
Weiteres siehe Bild 15! (Foto: Stadtarchiv Nürnberg E 9/33 St.A. 885)
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18:
Ruine der Synagoge im Jahr 1939
Uniformierte
und andere Schaulustige haben sich vor der Ruine versammelt.
(Foto:
Stadtarchiv Feuchtwangen, vorläufige Nummer 2, aus Privatbesitz.)
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19:
Abbruch der Synagogenruine im Jahr 1939
Uniformierte
überwachen die Arbeiten. Nur noch ein Trümmerhaufen blieb übrig.
(Foto:
Stadtarchiv Feuchtwangen, vorläufige Nummer 2, aus Privatbesitz.)
Von den Feuchtwanger Mitbürgern, deren einziges "Verbrechen" es war, Juden gewesen zu sein, haben sich nicht alle Spuren verloren. Den meisten scheint es gelungen zu sein, sich ins Ausland zu retten. Zu den Opfern des Holocausts gehören jedoch mindestens 17 Menschen, deren Heimat einmal Feuchtwangen gewesen war. In Konzentrationslagern starben zusammen mit fast 6 Millionen anderen Juden folgende Personen: 203
Den Abschluß dieser Arbeit soll eine Mahnung des bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl bilden, die er 50 Jahre nach den Vorkommnissen der Pogromnacht von 1938 aussprach:
"Was unseren jüdischen Mitbürgern zwischen 1933 und 1945 angetan worden ist, können Trauer, Entsetzen und Scham nicht bewältigen. Das millionenfache, qualvolle Sterben ist unserer Vorstellungskraft unerreichbar. Da ist die Gefahr nicht gering, daß das Geschehene verdrängt, ja frech verleugnet wird." 204
Dieses Verleugnen und Verdrängen
zu verhindern, das war das Hauptziel dieser Arbeit.