Band 3 |
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Der Weg zur vollen Gleichberechtigung von 1814 bis 1871
Als 1818 die bayerische Verfassung in Kraft trat, an die in Feuchtwangen heute noch durch das Maifest erinnert wird, bedeutete das für die Juden einen Rückschlag; ihnen wurde nämlich die Mitgliedschaft im Landtag verweigert. Ein Vorstoß einflußreicher Vertreter aus ihrer Mitte, die Verfassung zu ändern, scheiterte. Daraufhin wanderten viele Juden nach Amerika aus.
1833 hatte Feuchtwangen 2242 Einwohner, davon waren 2049 Evangelische, 170 Juden und 23 Katholiken (91,4 %, 7,6 %, 1,0 %). 27 jüdische Kinder besuchten die deutsche Volksschule. 103 Der Feuchtwanger Chronist Jacobi schrieb in diesem Jahr: "Der Handel ist meistens in den Händen der Juden, die unter irgend einem Aushängeschild sich ansässig machen, aber dessen ohngeachtet wohlgelitten sind, weil sie Geld in die Stadt bringen, und sich durch manche schätzenswerthe Eigenschaft empfehlen." 104
Im
gleichen Jahr 1833 konnten die Feuchtwanger Juden ihre neue Synagoge in
der heutigen Museumstraße fertigstellen. Sie wurde an der Stelle
der schon vorher vorhandenen "Judenschule" erbaut und bekam die Hausnummer
67 ½. Heute steht an ihrem Platz der Erweiterungsbau des "Fränkischeu
Museums", des früheren Heimatmuseums. Finanziell stark unterstützt
wurde die jüdische Gemeinde durch ein Darlehen des damaligen Landrichters
Leidner. 105 Das neue Gotteshaus
konnte am 30. August 1833 feierlich eingeweiht werden. Mit sichtlichem
Stolz veranstalteten die Feuchtwanger Juden einen Festzug mit Musik durch
die Stadt. Beim anschließenden Gottesdienst waren die königlichen
Beamten Ehrengäste. In Beilage 3 ist das vollständige Programm
der Einweihungsfeier abgedruckt.
Bild
2:
Bauplan der Synagoge vom Februar 1830
Dieser
Plan wurde wegen der Abänderungsvorschläge des Königlichen
Bau-Kunst-Ausschusses nicht ausgeführt. Vergleiche die Bilder 3 und
15! Planfertiger war Maurermeister Karl Wilhelm Holzknecht aus Feuchtwangen.
(Staatsarchiv
Nürnberg, Abgabe Landratsamt Feuchtwangen Nr. 1601, fol. 25.)
Bild
3: Abgeänderter Bauplan der Synagoge von 1832
Dieser
Plan wurde mit geringen Abweichungen ausgeführt. Der Königliche
Bau-Kunst-Ausschuß hatte den Plan Wilhelm Holzknechts von 1830 vor
allem in den Außenansichten stark abgeändert. Deutlich erkennt
man den bei Portal und Fenstern verwendeten sogenannten "maurischen Stil",
den der Ausschuß wünschte und der öfter bei Synagogenbauten
verwendet wurde. Der rechte (östliche) Teil des Gebäudes war
der eigentliche, über zwei Stockwerke gehende Synagogenraum. Die Männersitze
befanden sich im Erdgeschoß; die Empore für die Frauen, die
einen eigenen Eingang hatten, lag darüber. Der westliche Teil enthielt
in beiden Stockwerken eine kleine Wohnung für die Familie des Vorsängers
und Religionslehrers und ein Zimmer für den Religionsunterricht.
(Staatsarchiv
Nürnberg, Abgabe Landratsamt Feuchtwangen Nr. 1601, fol. 24.)
Bild
4:
Plan der Sitzvertedung vom August 1833
Die
43 Männersitze wurden nach einem festen Plan zugewiesen. In der Mitte
erkennt man den achteckigen Grundriß des Almemor, eines erhöhten
Podiums, von dem aus die Thora (die fünf Bücher Mose) verlesen
wurde. Rechts (im Osten) befand sich, ebenfalls erhöht, die "Heilige
Lade", ein Schrein zur Aufbewahrung der Thorarollen, der durch einen Vorhang
verdeckt war. Planfertiger war Maurermeister Holzknecht aus Feuchtwangen.
(Staatsarchiv
Nürnberg, Abgabe Landratsamt Feuchtwangen Nr. 1601.)
Im Zuge der Revolution von 1848 erhielten die bayerischen Juden das aktive und das passive Wahlrecht. Feuchtwangen scheint damals auch den revolutionären Geist gespürt zu haben, denn 1848 beantragten 48 Mädchen der drei Konfessionen ein Mädchen-Freibad in der Sulzach. Sie wollten nicht hinter den Buben zurückstehen, die eine entsprechende Einrichtung schon seit Jahren hatten. Die Unterschriften mehrerer jüdischer Mädchen stehen auf der Bittschrift mitten zwischen denen der Christinnen; sie scheinen also bei ihren Altersgenossinnen voll anerkannt gewesen zu sein. 106 Schwieriger war wohl das Verhältnis der Landbevölkerung zu den Juden. Der Chronist der Nachbarstadt Wassertrüdingen, Friedrich Löhrl, erlebte selbst, daß im Landgerichtsbezirk Feuchtwangen der "... Groll, besonders der Landbewohner, sich gegen die Gerichtsherrn, mehr aber noch gegen die Israeliten geltend machte, sodaß die wohlhabenderen derselben sich eiligst flüchteten und ziemlich lange in sicherer Ferne verweilten ... " 107
Auch unter der "gebildeten" Bevölkerung gab es Mitte des 19. Jahrhunderts Anzeichen des Antisemitismus. So schrieb der Feuchtwanger Landgerichtsarzt Dr. Handschuch im Jahr 1860 in seinem offiziellen Physikatsbericht: "Nur die hiesigen Israeliten treiben einzig u. allein blos Handel entweder mit Vieh oder mit Giitern, und wiederum Geldgeschäfte, in welchen dieselben die Noth bedrängter Familien auf ebenso vortheilhafte, als schamlose Weise auszubeuten wissen, und sich zu großem Reichthum trotz müßigen Straßenlungerns emporgeschwungen haben." 108 Er spielte dabei auf die jüdisehen Aufkäufer an, die öfters verschuldete Bauerngüter erwarben, aufteilten und die einzelnen Grundstücke mit Gewinn verkauften. Weiter bezeichnete er die Juden der Stadt als noch wohlhabender als die Bierbrauer, Bäcker, Schmiede, Spezerei- und Schnittwarenhändler, die er als in "besseren Vermögensverhältnissen" stehend erwähnte. 109 Die Wortwahl und Ausdrucksweise dieses Arztes läßt vermuten, daß auch Neid und Mißgunst bei ihm eine Rolle spielten. Besonders deutlich wird das, wenn er von einem verstorbenen "Israeliten" berichtet, der "als Hausirjude begonnen hatte und ein reines Kapitalvermögen von 400.000 fl [Gulden] seinen lachenden Erben hinterließ."110 Seine Aussagen werden dadurch relativiert, daß er mitteilte, daß die 24 Feuchtwanger, die 1859/60 nach Übersee, also nach Amerika, auswanderten, "meist hoffnungslose Personen oder aber Juden, die für ihren Speculations- und Wuchergeist dortselbst ein willkomenes Feld suchen und wohl auch finden"111 waren. Falls es diesen jüdischen Einwohnern Feuchtwangens in ihrer Heimat so gut gegangen wäre, wie Handschuch schrieb, wären sie dann ausgewandert?
1861 erhielten Juden und Christen in Bayern die Freizügigkeit; sie konnten sich ihren Wohnort selbst aussuchen. Im Jahr 1863 erreichte der jüdische Landtagsabgeordnete Dr. Fischel-Arnheim die freie Gewerbeausübung für Juden. Endgültige volle staatsbürgerliche Gleichheit und den Zutritt zu allen Ämtern erhielten die Israeliten am 22. April 1871, als das entsprechende Gesetz des Norddeutschen Bundes nach der Reichsgründung auch im Königreich Bayern gültig wurde. In diesem Jahr hatte das neue Deutsche Reich 25 Millionen Einwohner, davon 500.000 Juden, das waren 2 %. Sigfried Haenle, ein zum evangelischen Glauben übergetretener Jude, der von 1855 bis 1858 am Feuchtwanger Landgericht Advokat war 112 und der 1867 ein auch heute noch grundlegendes Werk über die Juden in dem Markgraftum Ansbach schrieb, bemerkte in diesem Buch, daß die Juden in allen Berufszweigen tüchtig seien; es gebe gebildete Rabbiner und Lehrer, jüdische Ärzte und Rechtsanwälte, Gymnasial- und Universitätsprofessoren, Richter, Stadträte und Abgeordnete. 113
Auch in Feuchtwangen ist die rege Anteilnahme jüdischer Bürger an der Entwicklung der Stadt hervorzuheben. So fungierte Samuel Nathan Gutmann von 1868 bis 1872 als interimistischer Vorsitzender des Eisenbahnkomitees, dessen Schriftführer er vorher gewesen war. Diese Vereinigung bestand aus namhaften Bürgern, deren Ziel es war, die geplante Eisenbahnverbindung Nürnberg - Stuttgart über Feuchtwangen zu führen und damit ihre Stadt an den großen Verkehr anzubinden. Mit der Entscheidung zum Bau der Linie über das 11 Kilometer entfernte Dombühl löste sich dieses Komitee 1872 auf. 114
Im übrigen öffentlichen Leben war die Mitarbeit der Juden ebenso gefragt: Der Vorsteher der israelitischen Kultusgemeinde, Joel Weihermann, wurde 1869 Mitglied des Armenpflegschaftsrats; Wolf Weihermann nahm an den regelmäßigen Schulsitzungen teil. 115
Im Gegenzug wurde bis 1926 auf die jüdischen Händler Rücksicht genommen, wenn einer der israelitischen Feiertage, die gegenüber dem christlichen Kalender beweglich sind, auf den traditionell während der Mooswiesenmesse stattfindenden Viehmarkt fiel. Der Gemeindeausschuß verlegt dann den Markt wegen dergroßenbedeutung derjüdischen Viehhändler. 116