Band 3
Inhaltsverzeichnis
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Der Wandel in der wirtschaftlichen Funktion und die Verfolgungen im Mittelalter

Allmählich lernte die christliche Bevölkerung selbst, die bisherigen Tätigkeiten der Juden zu verrichten. Seit dem 11. Jahrhundert nahmen die Städte an Zahl und Bedeutung zu. Das aufstrebende Bürgertum versuchte, die von den Juden betriebenen Geschäfte selbst zu übernehmen; der Geldhandel löste den Tauschhandel ab. Den Juden wurden Berufsverbote auferlegt, sie hatten ihre Aufgabe erfüllt, man brauchte sie nicht mehr; Vertreibung und Verfolgung konnten beginnen.
 
In der Kreuzzugsbewegung paarten sich handfeste wirtschaftliche Interessen mit religiösem Eifer. Das Leben eines Menschen galt im Mittelalter wenig, vor allem, wenn es sich um das eines sogenannten Ketzers oder eines Nichtchristen handelte. Die blutigen Verfolgungen der Albigenser in Südfrankreich im 13., die Glaubenskämpfe zwischen Hussiten und Katholiken im 15., und auch noch die erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken im 16. und 17. Jahrhundert zeigen dies überdeutlieb. Die Massaker an den Juden waren kein Ausnahmefall, wegen der jüdisehen Schutzlosigkeit jedoch besonders grausam. Teilnehmer des 1. Kreuzzuges folgten dem Aufruf Gottfrieds von Bouillon, den Kreuzestod Christi zuerst an den Juden zu rächen. Sie nützten die Gelegenheit, die jüdischen Bewohner von Köln, Mainz, Speyer und Worms im Jahr 1096 zu verfolgen und zum Teil zu ermorden. Es war eine Woge des Hasses, die sich von nunan immer wieder in neuen Verfolgungen entlud, so 1241 in einem Blutbad unter der Frankfurter Judenschaft.
 
Auf dem vierten Laterankonzil von 1215 verbot die Kirche den Juden, in christlichen Berufen tätig zu sein. Sie konnten kein Handwerk mehr ausüben, Landwirtschaft war nicht mehr möglich, ebensowenig der Beruf des Kaufmanns. Außer Pfandleiher, Trödler und Geldverleiher gab es keine Erwerbsmöglichkeit mehr für die Juden. Jakob Ben Meir klagte damals: "Man hat uns keinen Erwerbszweig mehr gelassen, unser Leben zu erhalten ..."4 Die landläufige Meinung, daß den Christen das Geldverleihen gegen Zinsen verboten gewesen sei, den Juden aber nicht, ist unrichtig. Auch im Alten Testament wird das Kreditgeben mit Gewinn verurteilt. Im Talmud heißt es: "Man soll sogar einem Andersgläubigen kein Geld auf Zinsen geben."5 Zinsgeschäfte zwischen Juden bedurften einer besonderen Genehmigung durch das Rabbinat. Ihnen blieb aber nach dem erwähnten Verbot von 1215 keine andere Erwerbsmöglichkeit mehr.
 
Im Verzeichnis der Reichsstädtesteuern von 1241,6 in dem Feuchtwangen erstmals sicher als Reichsstadt genannt wird, steht nur kurz an 64. Stelle "Item Fvhtwangen XX mr." (Ebenso Feuchtwangen 20 Mark)7. In diesem Verzeichnis ist bei anderen Städten extra angegeben, wieviel die dort wohnenden Juden an Steuern zu bezahlen hatten, so bei Bopfingen, Donauwörth, Rothenburg oder Schwäbisch Hall, um Orte aus der Umgebung zu nennen. Bei Feuchtwangen steht weiter nichts; es wohnten hier offenbar 1241 noch keine Mitglieder dieser Glaubensgemeinschaft.8
 
Die frühesten bekannten Erwähnungen eines Juden, der mit Feuchtwangen in Verbindung gebracht werden kann, geschehen im Achtbuch des Landgerichts Rothenburg unter dem 10. und 24. August 1274: Michahel Judeus de Fuhtewanch (Michael, Jude von Feuchtwangen) wird dort genannt. Er erhob Klage, da man ihm Haus und Hof gewaltsam weggenommen hatte. Sein Rechtsbeistand war der Advokat Ludewicus aus Herrieden.9 Offenkundig klingt hier ein Übergriff während einer Verfolgung an.
 
Vielleicht ist die Feuchtwanger Judengemeinde, deren Mitglied dieser Michael wohl war, dem mörderischen Pogrom unter dem Judenhasser Rindfleisch zum Opfer gefallen. Es begann im Jahr 1298 in Röttingen an der Tauber und breitete sich schnell über ganz Deutschland aus. Das Massaker wurde durch einen angeblichen Religionsfrevel ausgelöst: In Röttingen sollten Juden eine Hostie in einem Mörser zerstoßen haben, aus der dann das Blut Christi geflossen sei. Aufgrund dieser Verleumdung wurden unter der Anführung des Adeligen Rindfleisch Zehntausende von Juden in Deutschland hingeschlachtet und verbrannt. Allein in Rothenburg wurden 450 Juden, wohl die ganze Gemeinde, getötet. In Windsheim starben 56, in Weißenburg mindestens 11.10 Ob in Feuchtwangen Morde stattfanden, ist nicht zu belegen, aber wahrscheinlich. An das Pogrom in Rothenburg erinnert ein Gedenkstein, der im Jahr 1914 zusammen mit 32 jüdischen Grabsteinen am dortigen Schrannenplatz ausgegraben wurde. Stellvertretend soll seine erschütternde Inschrift wiedergeben werden:
 

Zwischen 1325 und 1348 werden wieder Juden als in Feuchtwangen woh 12 nend oder von hier stammend erwähnt: Leo oder Lewe12, Wolflin von Babenberch 13, Selmlin von Eckelsheim 13, Besslen 13, Bern 14, Josabel 14, Anshelm 15, Josep 15 und Mosse 16.
 
1336 und 1337 gab es eine weitere schwere Judenverfolgung in Franken, die vor allem in Aub, Kitzingen, Krautheim, Mergentheim, Röttingen, Uffenheim und Würzburg tobte.17 Ob Feuchtwangen betroffen war, ist wegen der oben erwähnten Personen eher unwahrscheinlich.
 
Am schlimmsten erging es den Juden aber in den Pestjahren 1348/49, als sie der unbegründete Vorwurf traf, sie hätten die Brunnen und Quellen vergiftet und damit die große Epidemie ausgelöst. Zu Tausenden mußten sie auf den Scheiterhaufen, am Rad oder am Galgen sterben. Im Jahr 1349 gab es Verfolgungen in Feuchtwangen selbst 18 und in fast allen Orten der Umgebung mit Judengemeinden, zum Beispiel in Ansbach, Bopfingen, Crailsheim, Gunzenhausen, Harburg, Herrieden, Markt Erlbach, Nördlingen, Rothenburg, Schwäbisch Hall, Uffenheim, Wallerstein, Wassertrüdingen, Weißenburg, Windsbach und Windsheim.19
 
Nach diesem schrecklichen Morden lebten nur noch wenige Juden in Deutschland. Wegen der territorialen Zersplitterung konnten Überlebende jedoch in die Gebiete von gemäßigteren Herren fliehen, wozu bedingt auch die Nürnberger Burggrafen Johann 11. (1334 - 1357) 20 und Albrecht (1341 - 1361) gehörten. Sie erwarben 1351 das Recht von König Karl IV.· (1346 - 1378), wieder Juden aufzunehmen.21 Friedrich V. scheint die Juden wohl insgesamt gut behandelt zu haben: Aus seiner Regierungszeit 1357 bis 1397 sind die ersten Judenschutzbriefe der Burggrafschaft Nürnberg erhalten. Er erlaubte die Organisation der Juden unter einem Hochmeister (Rabbiner); auch mehrere Schuldverschreibungen zu ihren Gunsten sind
noch vorhanden.22 Friedrich V. war übrigens auch der Burggraf, dem 1376 die Reichsstadt Feuchtwangen vom inzwischen zum Kaiser gekrönten Karl IV. verpfändet wurde und der im gleichen Jahr die Schutzherrschaft über das Stift Feuchtwangen übernahm.
 
Karls Sohn, König Wenzel (1378-1400), war der Initiator eines "Kuhhandels", den er mit dem Bund der Reichsstädte 1385 abschloß und der zu Lasten der Juden ging: Der Städtebund zahlte dem König, der in politischen und finanziellen Nöten war, 40.000 Gulden. Dafür bekamen die Städte alle Forderungen der in ihrem Machtbereich wohnenden Juden gegen die Christen übereignet. Die Stadt Nürnberg allein erhielt so 60.000 Gulden. Das war sicher für die Städte ein gutes Geschäft, den Juden aber brachte es den finanziellen Ruin. Für Feuchtwangen ist dieser schändliche Handel deswegen besonders wichtig, weil die Reichsstädte mit dem erhaltenen Geld den sogenannten Ersten Städtekrieg 1388/89 gegen den Burggrafen von Nürnberg führen konnten, in dessen Verlauf die seit 1376 burggräfliche Stadt Feuchtwangen als vorgeschobener Eckpfeiler von reichsstädtischen, vorwiegend Dinkelsbühler Truppen kurz nach dem 8. September 1388 fast völlig niedergebrannt wurde.23
 
Solche Übertragungen der sogenannten "Judenschulden" (also Schulden der Christen bei Juden) auf den König oder auf Städte und Fürsten gab es immer wieder in den kommenden Jahrhunderten. Kaum hatten sich die Juden einen gewissen Wohlstand aufgebaut, kassierten andere für sie, ohne die geringsten Skrupel zu haben.
 
Aus dem Jahr 1422 existiert ein Vertrag zwischen dem Burggrafen Friedrich Vl. (1397 - 1440), der inzwischen zum Markgrafen und Kurfürsten von Brandenburg aufgestiegen war, und den Bischöfen von Bamberg und Würzburg: Die Juden sollten gefangen und gezwungen werden, ihre Schuldscheine auszuliefern und nach und nach aus den Gebieten der drei Fürsten auszuwandern. Außerdem mußten sie eine besondere Tracht tragen, die sie von den Christen unterschied. Für Männer war ein spitzer Hut vorgesehen, außerdem war es Vorschrift, einen gelben Ring von fingerlangem Durchmesser auf der Kleidung anzubringen. Frauen waren verpflichtet, einen blaugestreiften Schleier zu benützen. Ob die Bestimmungen des genannten Vertrages im Markgraftum Brandenburg-Ansbach durchgeführt wurden, ist nicht bekannt.24
 
In Feuchtwangen scheinen nach 1348, als Mosse genannt worden war, keine Juden mehr gelebt zu haben. Zumindest wurden keine Hinweise dazu gefunden. Erst 1414 wird ein Ysac Jude von Feuchtwang erwähnt.25
 
Unter dem Kurfürsten Albrecht Achilles (1440 - 1486) wurden die Juden leidlich behandelt. Man drohte ihnen jedoch 1463 an, weil man die Steuerzahlung beschleunigen wollte, daß der Kaiser die Macht habe, ihnen all ihr Gut zu nehmen und sie zu töten bis auf eine geringe Zahl zum Gedächtnis.26 Es ist offenkundig, daß es für die Juden unter solchen Umständen sehr schwer war, Schuldforderungen einzutreiben. Davon berichten die teilweise erhaltenen Akten eines Prozesses vor dem Stift Feuchtwangen aus den Jahren 1472/73 unter der Leitung des Chorherren Heinrich von Wirsperg. Der Feuchtwanger Jude Bermann klagte gegen Hans Groß aus dem stiftischen Brettheim um Bezahlung einer Schuld.27 Aus den Unterlagen ist zu ent nehmen, daß der jüdische Kläger weitgehend im Recht war. Trotzdem zog sich der Prozeß gegen seinen Schuldner, der nicht die volle Summe bezahlen wollte, über ein dreiviertel Jahr bis 1473 hin. Es ist in diesem Zusammenhang auffällig, daß allgemein erheblich mehr Klagakten von Juden gegen Christen erhalten blieben als umgekehrt.28

4) Zitiert nach Keller: Und wurden zerstreut unter alle Völker. S. 241.  Jakob Ben Meir (auch Rabbi Tam), um 1100 bis 1171, war die größte Autorität des französischen und deutschen Judentums seiner Zeit. Den Hinweis verdanke ich Herrn H. J. Schleicher, WeidenbachTriesdorf.
5) siehe auch 2. Buch Mose, Kapitel 22, 24 und anderswo.
6) Notitia de precariis civitatum et villarum. In: Constitutiones et acta publica imperatorum ... Bd. 3. S. 1 - 5.
7) siehe Anmerkung 6), S. 3, Nr. 64.
Die Mark war eine Gewichtseinheit, vor allem für Silber. Die Nürnberger Mark entsprach 238,6 g. Das bedeutete, daß die junge Reichsstadt Feuchtwangen 4,772 kg Silber zu bezahlen hatte.
8) siehe auch Funk: Feuchtwangen. S. 29,
9) Staatsarchiv Nürnberg. Reichsstadt Rothenburg 487a. Achtbuch 1 des Landgerichts Rothenburg. Fol. 2' u. 3. Den Hinweis auf diese Ouelle verdanke ich Herrn Dr. Ludwig Schuurrer, Rothenburg o. T. Siehe auch Schnurrer: Feuchtwangen als Reichsstadt. S. 35.
10) Schnurrer: Die Juden in den kleineren fränkischen Reichsstädten. S. 92f.
11) Reichstädte in Franken. Katalog. S. 84.
Aus weiten Teilen des deutschen Sprachraums wurden die überlebenden Juden ausgewiesen. Neuansiedlung war für sie kaum möglich. So verbot z.B. die Landesordnung des Hochmeisters Siegfried von Feuchtwangen aus dem Jahr 1310 die Aufnahme von Juden im Ordensstaat (Ost-)Preußen. (Uhlich: Der Beitrag der Hochmeister Konrad und Siegfried von Feuchtwangen. S. 122f.)
12) Leo, Leone oder Lewe de Fuhtwang bzw. Fuhtewang: 1326 bis 1346 28mal erwähnt im Achtbuch 11 des Landgerichts Rothenburg (Staatsarchiv Nürnberg, Reichsstadt Rothenburg 487b) und im Stadtgerichtsbuch (Stadtarchiv Rothenburg, Band 15). Entsprechende Hinweise verdanke ich Herrn Dr. Ludwig Schnurrer, Rothenburg o. T.
13) Wolflin von Babenberch und Selmlin von Eckelsheim, gesessen zu Fiechtwanch (Regest in Haenle, S. 219 und Urkunden der Stadt Feuchtwangen, S. 20, Nr. 5), erwähnt 1346. WolfIm von Babenberch und Besslen, seine Schwiegermutter, erwähnt 1347 (vollständiger Abdruck der Urkunde bei Haeile, S. 205, Regest in Urkunden der Stadt Feuchtwangen, S. 21, Nr. 7).
14) Josabel und Bern de Fuhtwang: 1344 erwähnt im Achtbuch 11 des Landgerichts Rothenburg (siehe Anm. 12).
15) Anshelm und Josep, erwähnt 1345 (Stadtarchiv Rothenburg, Band 296, Landgerichtsbuch).
16) Mosse de Fuhtwang, erwähnt 1348 (Stadtarchiv Rothenburg, Band 296, Landgerichtsbuch). Die Hinweise auf die in den Anmerkungen 14 - 16 erwähnten Juden verdanke ich Herrn Dr. Ludwig Schnurrer, Rothenburg o. T.
17) Martyrologium des Nürnberger Memorbuches. S. 236 - 242.
18) ebenda S. 251 und 275.
19) ebenda S. 242 - 256.
20) Bei Fürsten sind die Regierungsjahre angegeben.
21) Haenle S. 9.
22) Haenle S. 13f.
23) Haenle S. 14. Zur Zerstörung Feuchtwangens siehe Schnurrer: Feuchtwangen als Reichsstadt. S. 42.
24) Haenle S. 15f. Abdruck des Vertrags ebenda S. 207 - 209.
25) Ysac jude von Feuchtwang: Stadtarchiv Rothenburg, Band 235. Den Hinweis auf diese Erwähnung verdanke ich Herrn Dr. Ludwig Schnurrer, Rothenburg o. T. Im Jahr 1430 sitzt ein Hans Jude auf einem Gütlein in Windshofen bei Weinberg. Vielleicht ist es der gleiche Hans Jud (Jüd), der 1445 und 1453 in Hinterbreitenthann erwähnt wird. Es ist jedoch nicht mit letzter Sicherheit geklärt, ob es sich wirklich um einen Juden handelte. Im einzelnen siehe: Urkunden des Stifts Feuchtwangen Nr. 171, 217, 260. Auch: Schnurrer. Regesten-Manuskript, Stadtarchiv Feuchtwangen, Archivbücherei 1 89
26) Haenle S. 17f.
27) Staatsarchiv Nürnberg. Fürstentum Ansbach, Oberamtsakten Nr. 590: in Schuld-Klag-Sachen Bermanns Juden zu Feuchtwang ... Den Hinweis auf diese Akte verdanke ich Herrn Fritz Wünschenmeyer, Feuchtwangen.
28) So auch bei Schnurrer: Zur Geschichte der Juden in der Reichsstadt Dinkelsbühl. S. 178.

Erstellt: 1991 durch Dietrich Weiß - letzte Änderung am 6.2.2000 durch Hans Ebert
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