E. schreibt an
den Dekan Wigo.2 - Wigo, dem verehrungswürdigen
Herrn und Dekan, hervorragend in allem Guten, und allen den geliebten Brüdern
weiht E., der leider in allen Stücken vom Rechten abirrt, die unlösbare
Verbindung reiner Liebe. - Weil denn nun eine
jegliche Aufgabe, in sich selbst schwächlich, der fremden Unterstützung
bedarf, so bitte ich demütig, wohl bekannt mit Eurer gewohnten Frömmigkeit,
Ihr möchtet an die bei meiner Abreise mir verheißene Tröstung
denken, die Ihr jetzt geruhen möget, mir auf mein untertäniges
Ersuchen zu gewähren. Denn gar sehr bin ich in Furcht, wenn ich bedenke,
was ich nach meinm Gelübde, das ich längst, wenn auch noch so
bedrängt, in allen Stücken zu halten gelobt habe, schuldig bin;
gar sehr also bin ich in Furcht, daß ich schlaff und matt einem solchen
Werke gegenüber befunden werde und irgendwo in Gottes Ungnade falle.
Darum mußte jetzt die Versöhnung und Gnade Gottes eifrig erstrebt
werden, weil ich ja, wie ihr wißt, das, was ich inständig und
unermüdlich hütte erbitten sollen, leider in arger Saumseligkeit
und Widerspenstigkeit zurückgewiesen habe. Deshalb bedarf ich gar
sehr Eurer und der andern ebenso Gottesfürchtigen Unterstützung
und Fürbitte, damit mir nicht begegne, was ide Heilige Schrift ausruft:
„Weil du weder warm noch kalt befunden, sondern nur lau erscheinst, darum
sollst Du ausgespieen werden aus meinem Munde." 3
Lebt wohl.
Lateinischer
Originaltext:
97.
-
Domno et venerabili
Vuigoni decano omni bonitate conspicuo atque cunctis dilectissimis fratribus
E., pro pudor, in cunctis exorbitans insolubilem nodum intemerate dilectionis. - Quia unumquodque
igitur negotium in se ipso inbecille indiget alterius sustentamine, idcirco
vestré solite pietatis haud ignarus precor subnixe, ut solaminis
recordemini mihi, priusquam a vobis recessissem, promissi, quod modo ut
implere dignemini, summisse, postulo. Admodum namque expavesco, dum mecum
revolvo, quid debeam pro voto, quod in conctis me servare iam dudum spopondi
quamvis coacte, ne mollis et dissolutus in tanto opere habitus divinam
aliquomodo incurram offensam. Propter hoh enim nunc sudandum foret ad placendam
divinam clementiam, quia, qué inhianter et indefesse rogare debui,
ut nostis, cum maxima eheu! recrastinatione ac recalcitratione refutavi.
Quapropter vestri fulciminis atque oraminis necnon aliorum aeque Deum timentium
satis indigeo, ne mihi non eveniat, quod sacra scriptura clamitat: "Quia
nec calidus nec frigidus haberis, sed tepidus solummodo diiudicaris, iccirco
de ore meo evomeris." Valete. Anmerkungen: 1)
Übersetzung weitgehend nach Albrecht (Die Briefe des Wigo. S. 204.). 2)Bossert
(Die Briefe des Feuchtwanger Dekans Wigo. S. 71 f.) nimmt an, daß
die Titulierung Wigos als "Dekan" darauf schließen läßt,
daß Feuchtwangen schon zu dessen Zeit in ein Chorherrenstift umgewandelt
worden sei. Kempf (Froumund von Tegernsee. S. 27.) merkt an, daß
Wigo erst in seinem Mutterkloster Dekan geworden sei. E. wird als Abt Eberhard
von Tegernsee aufgelöst (Steichele: Das Bisthum Augsburg. Bd. 3. S.
348), mit wohl etwas mehr Recht als Ellinger (Seiler: Froumuds Briefcodex.
S. 395). Strecker (Die Tegernseer Briefsammung. S. 101) hält es jedoch
für sehr wahrscheinlich, daß der Brief in die Zeit vor Wigos
Feuchtwanger Aufenthalt fällt. Sie auch S. 22, Anmerkung 56. 3)Offenbarung
3, 16. Übersetzung Luthers: "Weil du aber lau bist und weder kalt
noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde."