Anton Steichele - Das Bisthum Augsburg |
|
II. Geschichte der Stadt Dinkelsbühel1). Dinkelsbühel ist ohne Zweifel ein sehr alter Ort, wird jedoch mit Namen erst im J. 1188 das erste Mal genannt, und erscheint hiebei als eine Stadt (burgum) und als Zugehör zum Hausgute des Staufischen Kaisergeschlechtes, nachdem es wohl seine alte Eigenschaft als Reichsgut längst verloren hatte. Im genannten Jahre beabsichtigte nämlich Kaiser Friedrich I., seinen Sohn Kunrat, Herzog von Rotenburg (an der Tauber), mit Berengeria, Tochter König Alfons‘ VIII. von Castilien, zu vermählen. Im Ehe-Vertrage, welcher am 23. Mai 1188 zu Seligenstadt von Friedrich mit Alfons abgeschlossen wurde, später aber, weil die Heirat nicht zu Stande kam, sich wieder löste, nennt der Kaiser unter den als Morgengabe seines Sohnes für die Braut bestimmten Gütern des Staufischen Herzogthums Rotenburg auch burgum Tinkelspuhel cum pertinentiis2). Damals war Dinkelsbühel gewiß schon eine wohlbefestigte mit starken Mauern umfriedete Stadt; denn jetzt noch zeigt sich auf der ganzen Linie vom städtischen Spitale bis zum Werniz-Thore eine Umfassungs-Mauer uralten Baues mit gekropften Quadern, welche, wenn nicht schon früher, wenigstens im zwölften Jahrhundert entstanden sein mag. Aus derselben Zeit, oder spätestens aus der ersten Hälfte des 13. Jahrh., stammt auch das romanische Portal im Thurme der St. Georgs-Kirche sammt dem untern Theile des Thurmes selbst, ein Bauwerk, dessen Schönheit und Großartigkeit die Annahme rechtfertigt, daß Dinkelsbühel damals schon eine bedeutende, blühende Stadt gewesen sein müsse.
Wir treffen nun erst im J. 1251 wieder auf eine Nachricht über Dinkelsbühel. Am 7. Okt. 1251 verpfändete nämlich König Kunrat IV. aus dem Staufischen Geschlechte mehrere Besitzungen seines Hauses und des Reiches, nämlich die Städte Dinkelsbühel (civitatem Dinkelspuhel) und Horburg, die Burg Sorheim, die Schirmvogtei über Kloster Roth und den Zehenten von Aufkirchen für 1590 Mark Silbers an den Grafen Ludwig zu Öttingen3); und von nun an mußte überhaupt, wie andere Reichsstädte, auch das reichsfreie Dinkelsbühel den Kaisern noch oft als Mittel zur Linderung ihrer Geldnoth dienen, erlangte aber dadurch auch eine stattliche Mehrung seiner Privilegien und Freiheiten. Als Stadt des Reiches hatte Dinkelsbühel einen kaiserlichen Vogt oder Pfleger (advocatus, minister), welcher unter dem kaiserlichen Reichs-Landvogte zu Rotenburg stand4).
Am 5. Mai 1295 verpfändete König Adolf die kaiserlichen Vogt-Aemter zu Dinkelsbühel, Weißenburg, Aufkirchen, Bopfingen und Horburg, wie sie bisher Burggraf Friedrich von Nürnberg besessen, für 1500 Pfund Heller an den Grafen Ludwig von Öttingen5). Von dieser Pfandschaft scheint sich aber die Stadt bald wieder frei gemacht zu haben; denn im J. 1305 steht sie wieder unmittelbar unter dem Reiche, indem sie am 11. Aug. 1305 von König Albrecht I. ein Privilegium erhält, kraft dessen ihr alle Rechte und Freiheiten verliehen werden, deren die Reichsstadt Ulm sich erfreut6). Dazu verlieh König Heinrich VII. der Stadt am 5. Juli 1309 die Gnade, daß die Bürger in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nicht vor auswärtige Richter dürfen geladen werden, sondern daß über sie durch Richter aus ihrer Mitte Recht sollte gesprochen werden (jus de non evocando)7), und am folgenden Tage, 6. Juli 1309, gestattete derselbe König den Bürgern von Dinkelsbühel, in ihrer Stadt ein Ungeld zu erheben, durch welches die Mauern und Wehren der Stadt auszubessern wären8).
Ein von Kaiser Ludwig dem Bayer am 6. Juli 1323 der Stadt ertheiltes Privilegium deutet an, daß schon damals zu Dinkelsbühel das Gewerbe der Tuchmacherei in Blüte stand, indem der Kaiser gestattet, daß die zu Dinkelsbühel gefertigten und gemessenen grauen Tücher anderswo nicht nachgemessen werden sollten9). Damals hatte Dinkelsbühel auch schon ein Armen-Spital, welches sich durch frommgesinnte Stifter und Wohlthäter bald zu großer Blüthe hob.
Es währte indeß nicht lange, so folgte im J. 1341 eine neue kaiserliche Verpfändung der Stadt an die Grafen von Öttingen, ja, Kaiser Karl IV. traf am 16. Aug. 1351 mit den Öttinger Grafen Friedrich und Ludwig sogar ein Uebereinkommen dahin: die Grafen sollten die ihnen zugehörige Landgrafschaft Nieder-Elsaß an das Reich abtreten, dafür aber vom Kaiser die ihnen bereits verpfändeten Reichsstädte Dinkelsbühel und Bopfingen von ihm als Erblehen empfangen und dazu noch als Daraufgabe 16,000 Pfund Heller erhalten10). Der Tausch kam jedoch nicht zu Stande; dagegen löste sich Dinkelsbühel im J. 1352 mit der bedeutenden Summe von 7200 Pfund Heller von der Pfandschaft für immer los11) und blieb nun fortan eine unmittelbare freie Stadt unter Kaiser und Reich.
Nun folgte ein kaiserlicher Gnadenbrief für die Stadt dem andern. Im J. 1352 verlieh ihr Karl IV. auf sechs Jahre Befreiung von aller Reichssteuer, von Zinsen, Schatzung und Ungeld, dazu das Recht, einen Richter und Amtmann aus eigenen Mitteln und unabhängig von dem Landvogte in Schwaben zu bestellen. Im J. 1360 ertheilte er ihr das Recht, eine jährliche offene Messe in den zwölf nächsten Tagen vor Pfingsten halten zu dürfen, im J. 1366 aber gestattete er ihr eine zweite Messe für die auf St. Galli-Tag folgenden sechzehn Tage; endlich gab derselbe Kaiser im J. 1373 der Stadt das Privilegium des eigenen Gerichtsstandes und verfügte, daß alle in der Stadtmarkung gelegen Güter und Unterthanen zur Stadt zu steuern und mit der Stadt zu heben und zu legen hätten12).
Das Leben und Weben der Stadt in dieser Zeit blieb aber nach außen und innen ein sehr bewegtes. Dinkelsbühel betheiligte sich an fast allen Bündnissen der schwäbischen Reichsstädte und an ihren Fehden mit den Fürsten und kämpfte viel mit benachbarten Adeligen und Städten. Namentlich war es das nahe Feuchtwangen, welches damals den Zorn der Dinkelsbüheler schwer fühlen mußte; denn zwei Mal, um 1315 und im J. 1388, sank fast ganz Feuchtwangen, von den Dinkelsbühlern überzogen, geplündert und angezündet, in Asche. Auch ruhten im Ausgange des 14. und in der ersten Hälfte des 15. Jahrh. selten die Streitigkeiten der Stadt mit den Grafen von Öttingen; denn die beiderseitigen Gebiete griffen in einander, und daraus erwuchsen Verwickelungen über gegenseitige Ansprüche. Daneben bestand viel innere Gährung über die bürgerliche Verfassung und über die Gestaltung des städtischen Regimentes. Dieses lag während des 14. Jahrhunderts in den Händen eines Rathes von 30 Mitgliedern, welche aus altfreien Bürgern und aus adeligen Herren bestanden, die allmälig aus ihren Burgen auf dem Lande in die Stadt gezogen und in dieser zu Macht und Einfluß gelangt waren. Gegen diese Verfassung erhoben sich aber im J. 1387 die mittlerweile gleichfalls mächtig gewordenen Zünfte der Handwerker und erzielten eine Aenderung derselben in der Art, daß die Zahl der vornehmen Räthe auf zwölf gemindert und diesen aus den sechs Handwerkszünften zwölf Zunftmeister mit gleichen Befugnissen und Rechten beigegeben wurden. An der Spitze des Rathes standen zwei Bürgermeiste, der eine aus den Patriciern gewählt, der andere aus den Zünften13).
Aber ungeachtet äußerer Fehden und innerer Unruhen gewann die Stadt, welche im frühen Mittelalter nur einen geringen Umfang hatte, im 14. und 15. Jahrhunderte ihren größten Zuwachs, und am Ende des letztern war sie bereits sammt ihren Vorstädten von der starken Mauer umfangen, deren theils viereckige, theils runde Thürme, ehedem zwei und zwanzig, heute noch siebenzehn, ihren auszeichnenden Schmuck bildeten. Eine Reihe jetzt noch stehender schöner Wohnhäuser von alterthümlicher Bauart, wie die vielen und reichen Stiftungen zu Spital und Kirche, zeugen, daß damals in den Familien der vornehmen Dinkelsbühler Bürger, der Berlin, der Hofer, der Wernzer und anderer, Wohlstand, ja, großer Reichthum geherrscht habe. Aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammt auch die Pfarrkirche des hl. Georg, ein großartiges Bauwerk, in welchem sich Dinkelsbühel’s bürgerlicher Fleiß und frommer Sinn das schönste Denkmal gesetzt hat. Manche neue kaiserliche Gnade, wie die Verleihung des Blutbannes und Halsgerichtes im J. 1401, und die Umschreibung der Stadtmarkung durch Kaiser Friedrich III. vom 13. Juli 1476, dienten zu neuer Erhöhung des Glanzes und der Bedeutung der Stadt14).
Die Wirren mehrten sich aber und der alte Glanz der Stadt erbleichte mit dem Beginne der Glaubensneuerung des 16. Jahrhunderts, welche Dinkelsbühel’s Lebenskraft lähmte und die Bürgerschaft in zwei feindliche Lager spaltete.
Als nämlich die Glaubensbewegung in Deutschland mächtiger um sich zu greifen begann, wurde auch Dinkelsbühel von derselben berührt. Zum völligen Siege, unter Abschaffung alles katholischen Cultus in der Haupt- und in der Spitalkirche, kam daselbst die protestantische Lehre im J. 1532. Der Sieg Kaiser Karl’s V. über den Schmalkaldischen Bund, welchem auch Dinkelsbühel beigetreten war, im J. 1547, änderte die Verhältnisse; im J. 1548 nahm die Stadt das kaiserliche Interim an, die Hauptkirche wurde den Katholiken zurückgegeben, die protestantische Geistlichkeit entlassen, der Rath mit nur katholischen Mitgliedern besetzt. Im J. 1552 änderte Karl V. die städtische Verfassung mittels einer neuen Wahl-Ordnung, wonach ein kleiner und ein großer oder äußerer Rath gebildet wurde. Ersterer sollte aus 9 Mitgliedern des vorigen Rathes und aus 6 von den Zünften Gewählten bestehen; den großen Rath bildeten 25 Bürger; drei Bürgermeister, je vier Monate im Amte, standen an der Spitze des Rathes. Die Protestanten, bei weitem die Mehrzahl der Bewohner bildend, erhielten zu ihrem Gottesdienste die Spitalkirche; vom Rathe waren sie ausgeschlossen15). Aus der Stadt aber war Friede und Eintracht gewichen, die beiden Religions-Partheien befeindeten und befehdeten einander, wie sie nur konnten; und so bis in den Grund hinein zerspalten und zerrissen, trat die Stadt in die gräuelvollen Zeiten des dreißigjährigen Krieges.
Als die Schweden im Frühjahre 1632 gegen die Donau rückten, war Dinkelsbühel von bayerischem Kriegsvolke besetzt. Aber am 1. Mai 1632 mußte sich die Stadt an den schwedischen Obersten Cleß Dietrich von Sperreuth ergeben, und bald darauf hielt König Gustav Adolf selbst seinen Einzug in dieselbe. Die Folge davon war eine gänzliche Umgestaltung der Religionsverhältnisse. Der katholische Stadtrath wurde entfernt und durch protestantische Bürger ersetzt, die Pfarrkirche St. Georg den Katholiken abgenommen und den Protestanten eingeräumt. Dieses dauerte jedoch nur zwei Jahre; denn am 14. Sept 1634, nach der Nördlinger Schlacht, mußten die Schweden die Stadt nach heftiger Beschießung an den kaiserlichen General Piccolomini übergeben, welcher die Rathsstellen und die Kirche wieder den Katholiken einräumte und die Protestanten schwer die Gewalt des Siegers fühlen ließ. Im folgenden Jahre rafften Hungersnoth und Pest zwei Dritt-Theile der Einwohnerschaft hinweg. Drei Mal noch wurde die Stadt von den Bayern, ein Mal von den Franzosen, zwei Mal von den Schweden genommen; furchtbares Elend herrschte in derselben und in der Umgegend während des Krieges und in dem Augenblicke, als die Kunde von dem zu Münster und Osnabrück im J. 1648 abgeschlossenen Frieden durch die deutschen Lande scholl. Auf Grund des Friedensschlusses führte am 14. Mai 1649 eine kaiserliche Commission in Dinkelsbühel die Parität zwischen Katholiken und Protestanten ein und besetzte hienach den Rath und die Aemter der Stadt zu gleichen Theilen aus den beiderseitigen Religionsverwandten; den Katholiken blieb die St. Georgi-Kirche, den Protestanten die Spital-Kirche.
Aber
Friede und Eintracht war damit noch nicht eingekehrt. Wie die Irrungen
und Streitigkeiten mit Ansbach und Öttingen wegen der Jurisdiction
fortdauerten, so im Innern die Reibungen zwischen beiden Religionstheilen.
Der Beschwerden beim Kaiser, beim Reichsgerichte, bei den evangelischen
Ständen war kein Ende. Kaiserliche Commissionen weilten Jahre lang
in der Stadt und verschlangen ungeheure Summen, und doch wurde weder dauerhafter
Friede, noch eine gründliche Besserung der Verwaltung, über welche
die Bürgerschaft bittere Klage führte, damit hergestellt16).
Das Regiment und die Verwaltung der Reichsstadt lag fortwährend in den Händen des parititischen Stadtrathes, welcher in den innern und äußern Rath zerfiel. Ersterer zählte acht Senatoren und zwei Geheime, letztere dreißig Mitglieder. An der Spitze des Rathes standen zwei Bürgermeister, welche alle Vierteljahre in Amt und Rang wechselten.
Zu den Wirren im Innern der Reichsstadt kamen oft noch sehr große äußere Bedrängnisse. Während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war sie von Kriegslasten so heimgesucht, daß im J. 1749 eine Schuldenmasse von 800,000 Gulden auf ihr lastete. Sie erholte sich zwar wieder, aber die französischen Kriege zu Ende des Jahrhunderts, und was sich an dieselben anschloß, leerten neuerdings die Stadtkasse und zerrütteten den Finanzhaushalt gänzlich17).
In diesem Zustande fiel die Reichsstadt Dinkelsbühel an Churbayern, welches am 30. Nov. 1802 von derselben Besitz nahm, aber schon nach zwei Jahren die Stadt an das prußische Fürstenthum Ansbach abtreten mußte. Mit Ansbach kam Dinkelsbühel am 24. Mai 1806 zum zweiten Male an Bayern.
Zum Gebiete und unter die Oberherrlichkeit der Reichsstadt hatten in der letzen Zeit gehört: Die Dörfer Wilburgstetten, Villersbrunn und Greiselbach, die Weiler Wolfertsbrunn, Neustättlein, Knittelsbach und noch viele Güter und Unterthanen weit in der Gegend umher, welche mit Ansbachischen, Elwangischen, Öttingischen und deutschherrischen Gütern und Unterthanen vermischt waren. Der gemeinsame Magistrat besetzte die protestantischen Parreien Schopfloch, Breitenau und Leukershausen, die beiden letzern im Namen des Spitals, in dessen Namen er auch auf die katholische Pfarrei Dalkingen präsentirte. Der katholische Magistrats-Theil präsentirte zur katholischen Pfarrei Wilburgstetten, der protestantische vergab die protestantische Pfarrei Greiselbach, in welcher er auch alle Episcopal-Rechte ausübte.
Mit dem Uebergange an Bayern verlor Dinkelsbühel zwar seine Reichsfreiheit, gewann aber eine Regeneration seiner socialen Verhältnisse und wurde eine wohlgeordnete, friedliche, glückliche Stadt.
Zu Dinkelsbühel wurde, als Sohn eines Deutschorden’schen und Domkapitel Augsburgischen Beamten, am 15. Aug. 1768 im Hause Nr. 584 geboren Christoph Schmid, Deutschlands erster und berühmtester Jugend-Schriftsteller, gest. als Domherr zu Augsburg am 3. Sept. 1854. An der Hauptstrasse der Stadt Dinkelsbühel, auf dem freien Platze vor der katholischen Pfarrkirche, steht seit 1859 ein von F. v. Miller zu München aus Erz gegossenes Denkmal auf Christoph v. Schmid18). In den „Erinnerungen aus meinem Leben“, besonders in Bdch. 1. und 3., hat Chr. v. Schmid seine Vaterstadt, sowie Zustände und Personen in derselben aus seiner Jugendzeit, in köstlichen Schilderungen gezeichnet.