Wilh. Schaudig - Geschicht der Stadt ...
Inhaltsverzeichnis
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15. Die Stadt von ihrem Übergang an Bayern bis zur Gegenwart.

 
Die Feuchtwanger hatten ihrem neuen Herrn Maximilian Joseph, der durch die Gnade Napoleons König von Bayern geworden war, am 10. Juni 1806 Treue geschworen, aber, obwohl sie nun Untertanen dieses mit den Franzosen verbündeten Herrschers waren, mußten sie doch die furchtbar drückende Last einer achtmonatlichen, bis 28. September 1806 währenden Einquartierung des 64. Französischen Inf.-Regiments tragen. Auch in der folgenden Zeit bekamen sie die Auswirkungen der durch den Menschenverächter Napoleon entfachten Kriegsstürme zu fühlen. 1813 zog ein Teil des bayerischen Heeres unter Wrede, das dem bei Leipzig geschlagenen Napoleon den Rückzug verlegen sollte, durch Feuchtwangen, wobei Prinz Karl von Bayern im Hause des Stadtschreibers Schnetter übernachtete. 1814 kamen russische Heeresteile durch, die sich durch Roheitsausbrüche bemerklich machten. Drückend wurde 1815 der Durchmarsch zweier österreichischer Armeekorps empfunden, denn bei solchen Gelegenheiten hatte die Einwohnerschaft nicht nur Unterkunft, sondern auch Verpflegung zu gewähren. Einige bayerische Chevauxlegers-Regimenter, die nach dem zweiten Pariser Frieden durch die Stadt zogen, waren die letzten Heeresteile, die an das durch den korsischen Abenteurer verursachte große Völkerringen erinnerten.
 
Sonst sah Feuchtwangen in den folgenden Friedensjahren manche bemerkenswerte Person auf ihrer Durchreise, denn auf der Post dahier fand meistens Pferdewechsel statt.61 So wurden, als 1818 die Kaiserin von Rußland hier durchkam, für sie und ihr Gefolge 120 Pferde angefordert. König Max Joseph starb am 13. Oktober 1825. In demselben Monat reiste der Thronfolger Ludwig hier durch, der nun den Thron bestieg. Am 28. Dezember 1828 kam König Ludwig mit Gemahlin wieder nach Feuchtwangen, wobei die Stadt ihm einen außerordentlich feierlichen Empfang bereitete. In der Nähe des Schulgartens an der Rothenburger Straße war ein Ehrenbogen errichtet, auf dessen Gipfel sechzehn von Ansbach herbeigerufene Musiker standen, die den König mit Trompeten- und Paukenschall begrüßten. Am Fuß des Bogens brachten die Beamten und Stadtvertreter unter Überreichung von deutschen und lateinischen Gedichten ihre Huldigung dar, während die Pfarrer in der Stadt bei der Post dem königlichen Paare ihre Ehrerbietung bezeigten. Von Blumenstäbe tragenden Kindern geleitet ging der Zug durch die Stadt. - Im gleichen Jahre reiste der König von Preußen Friedrich Wilhelm III. Durch Feuchtwangen. Im Jahre 1846 war die berühmte und fromme schwedische Sängerin Jenny Lind, "die nordische Nachtigall," über Mittag auf der "Post", im folgenden Jahre die berüchtigte spanische Tänzerin Lola Montez. 1848 kam hieher der Hauptmann Ludwig von der Tann, der als Anführer einer Freischar im Krieg gegen die Dänen nach Schleswig-Holstein ging und sich später als bayerischer Heerführer hohen Ruhm erwarb.
 
Nach der Besitzergreifung des Ansbacher Landes durch Bayern erfolgte eine Neuordnung der Ämter. An Stelle des preußischen Justizamtes trat ein Landgericht, dem ein Landrichter - Heinrichmaier hieß der erste - vorstand. Neben ihm leisteten zwei Assesoren Dienste. Statt des Kameralamtes wurde ein Rentamt errichtet und an Stelle des Magistrats gabs eine Municipalität unter dem Vorsitz des Polizeibürgermeisters Schülein, der dem Landgericht untergeordnet war. Letzterem stand eine Cordons-Mannschaft von sechs Cordonisten (soviel wie die späteren Gendarmen) und einen Rottenmeister in sieben Vigilanzstationen und ein Polizeidiener in der Stadt zu Gebot.
 
Der bekannte Ritter von Lang entwirft in seinen Lebenserinnerungen ein trübes Bild von den sittlichen und sonstigen Eigenschaften mancher mit der Verwaltung des Landes betrauten, zum Teil aus Altbayern gekommenen Beamten. Besonders die Rücksichtslosigkeit und Gewalttätigkeit, mit der sie verfuhren, machte sie bei der Bevölkerung unbeliebt. Vor allem gilt dies für die Landrichter, in deren Händen Rechtsprechung und Verwaltung vereinigt war. Auch in Feuchtwangen war es nicht anders. Über die rohe Gewalttätigkeit des Landrichters Heinrichmaier führt der damalige Dekan Prinzing bittere Klage. Den Dekan wollte der Landrichter aus seinem Hause vertreiben und es zum Landgericht machen. 1811 sollte der Oberkaplan ohne weiteres aus seiner Wohnung verjagt und in das finstere bisherige Gerichtsgebäude verwiesen werden. 1815 wurde versucht, den Garten der jetzigen zweiten Pfarrstelle, der bis zur unteren Gasse hinabreichte, dem angrenzenden Adlerwirt Haußelt zuzuwenden. Das gelang zwar vorerst nicht, 1823 aber wurde es doch dahin gebracht, daß der untere Teil des Gartens gegen ein auf die Staffelwirtschaft gelegtes Ewigkapital an Haußelt kam. Zugleich sei hier erwähnt, daß an den Genannten im Jahre 1840 noch die an den Garten stoßende und zur zweiten Pfarrstelle gehörende sog. Kaplaneischeune vom Rentamte verkauft wurde ohne Wissen des Stelleninhabers und ohne eine Mitteilung an ihn. Es bedurfte langer Verhandlungen, um den der Stelle zugefügten Schaden ersetzt zu erhalten. Das sind Beispiele damaliger Beamtenwillkür. - Als im Jahre 1811 ein Haus am Spitaltor in Brand geriet und das Feuer außer fünf weiteren Häusern auch den Torturm ergriff, trieb der Landrichter die Leute zu Löscharbeiten an, ohne zu bedenken, in welche Gefahr diese gerieten. Die Folge war, daß der einstürzende Turm acht Menschen unter seinen Trümmern begrub, während zweien die Beine abgeschlagen wurden. Mit dem Torturm ging auch die Uhr und das schöne Geläute zugrund, das 1774 der Webermeister Binder gestiftet hatte, und das zur Schiedung, zu Mittag, zum Abendgebet und zur Torsperre geläutet worden war. 1809 war auch schon das "Klösterlein" auf dem Spitzenberg, das Haus, in dem vor der Reformation die Beguinen oder Betschwestern, wie sie das Volk auch genannt hatte, wohnten, abgebrannt. Das Innere der Stadt bot damals einen übeln Anblick. Vor vielen Häusern lagen hochaufgeschichtete Düngerhaufen, der Marktplatz war dadurch verunziert, daß beim Röhrenbrunnen, wie eine Aufschreibung von 1787 besagt, außer zehn Fischkasten noch drei Tröge zum Viehtränken und eine Weet (Pferdeschwemme) sich befanden. Auf Reinigung der Gassen wurde überhaupt kein Augenmerk gerichtet. Es kamen die Teuerungsjahre 1816 und 1817. Es hatte 1816 den Sommer und Herbst über ununterbrochen geregnet, sodaß das Getreide auf dem Felde verdarb. Die Folge war eine Hungersnot, denn der Getreidepreis stieg, bis die gute Ernte 1817 mit Freuden eingebracht werden konnte, so hoch, daß dahier das Simra62 Haber auf 20 Gulden, das Simra Gerste auf 40, Korn auf 50 und Weizen auf 70 Gulden zu stehen kam. Um armen Bürgern Verdienst zu verschaffen, ließ man die Weet auf dem Markte einfüllen - die Fischkästen durften allerdings ihr Dasein noch sechzig Jahre länger behaupten - und, was das verdienstvollste war, den Michelsberg, der seit Alters mit Steinbrüchen bedeckt war, zu einer Anlage umwandeln, auf die die Stadt stolz sein kann. Leider hat man ihr den durch nichts begründeten Namen "Königshöhe" beigelegt. Unter Bürgermeister Schülein wurde die von jeher im Rathause befindliche Fleischbank daraus entfernt und ein Schlachthaus gebaut, mit dem die Heuwage vereinigt wurde, die bisher die Hauptstraße verunstaltet hatte.
 
Die Vom König Max Joseph am 25. Mai 1818 seinem Lande gegebene Verfassung wurde am 27. Desselben Monats von den geistlichen und weltlichen Bediensteten auf dem Rathause beschworen. Im Herbste darauf wählte Feuchtwangen an Stelle der Munizipalität wieder einen Magistrat dritter Klasse, da die Mittel zur Errichtung eines Magistrats zweiter Klasse nicht hinreichten. Aber schon 1824 stellten die Gemeindebevollmächtigten den Antrag, eine bloße Gemeindeverwaltung einzuführen. Diesem Antrag wurde von der Regierung stattgegeben. Am 1. Oktober 1826 wurde die neue Verwaltung eingesetzt und zu deren Vorstand der Posthalter Schäfer gewählt, der dies Amt 32 Jahre innehatte. - Im Sommer 1819 herrschte solche Hitze, daß am 8. Juli achtundzwanzig Grad Wärme nach Reaumur gezählt wurden. Im Altmühlgrund starben beim Heumachen sechs Menschen an Hitzschlag. Auf diesen heißen Sommer folgte zehn Jahre später der kälteste Winter des Jahrhunderts, wobei am 18. Februar die Kälte auf siebenundzwanzig Grad Reaumur stieg. Auch der Winter 1845/46 war, um dies gleich anzufügen, von außergewöhnlicher Art. War schon der November 1845 wenig kalt und fast frei von Niederschlägen, so brachte der Dezember und der Januar 1846, wie die zeitgenössische Aufschreibung berichtet, wahrhaft herrliche Tage. Der Winter stellte sich erst im Februar und März ein, an dessen 25. Tag noch Schlittenfahrten gemacht werden konnten.
 
Im Jahr 1827 wurde das neue Amtsgebäude um 30000 Gulden hergestellt, in dem das Landgericht und das Rentamt untergebracht wurden, während das bisherige Gerichtsgebäude der Forstbehörde zufiel. Die Stadt verkaufte 1829 das Wehrhaus (die Bastei) am unteren Tore an den Nagelschmied Wolf. 1841 löste sie das auf dem Hörnerschen Hof in Leuperzell ruhende Waldrecht im Heiligenholz um 1100 Gulden ab. Der untere Raum des Schießhauses wurde dem 1825 gegründeten Schützenverein zu seinen Schießübungen überlassen. Die oberen Räume des Hauses dienen bis heute der 1847 gegründeten anfänglich von einer Bürgersfrau und nach deren Ableben von Augsburger Diakonissen geleiteten Kinderbewahranstalt. 1833 bauten sich die damals noch zahlreich hier ansässigen Juden von denen 27 Kinder die deutsche Schule besuchten, eine neue Synagoge. Die Tage vom 14. Februar bis 12. März 1837 waren Schreckenstage für die Feuchtwanger Einwohner. Viermal in dieser Zeit brachen in Häusern und Scheunen am Marktplatz und in dessen Nähe Brände aus, denen im ganzen bei zwölf Gebäude zum Opfer fielen. Der Brandstifter, der außereheliche Knabe einer Wirtsfrau, wurde zur Strafe nach Amerika verschickt.
 
Das Jahr 1844 sah einen Aufstand der in der Feuchtwanger Umgegend wohnenden Bauern. Zusammengeschart zogen sie vor das Landgericht in Feuchtwangen, um mit Gewalt den Bau einer Straße durch den Ampfrachgrund bis zur Landesgrenze der entstehenden Kosten wegen zu verhindern. Ihr Zweck wurde nicht erreicht, wohl aber mußten die Anführer längere Freiheitsstrafen verbüßen.
 
Die Gemeindehut wurde im Jahre 1852 in der Weise verteilt, daß auf ein Gemeinderecht 65 Dezimale kamen. Die Ortsansässigen ohne Gemeinderecht erhielten je 4 1/4 Dezimale bei der Schleifmühle.
 
Dem gemächlichen Dahinleben, wie es um die Mitte des 19. Jahrhunderts herrschte und im Sommer abends den neun Kellerwirtschaften am Berge stets eine Anzahl Gäste zuführte, machte die wirtschaftliche Entwicklung, die im letzten Viertel des Jahrhunderts einsetzte, mehr und mehr ein Ende. Es galt sich zu regen, um mit den gewerblichen Fortschritten benachbarter Städte gleichen Schritt halten zu können. Mit dem politischen Aufstieg Deutschlands weitete sich auch der Gesichtskreis der Einwohnerschaft und neben der Heimatliebe erwachte die zum großen deutschen Vaterlande und die Anteilnahme an dessen Geschicken, wovon so manche vaterländische Veranstaltungen und Feiern Zeugnis geben. Die Stadtverwaltung folgte dem Zuge der Zeit. Leider wurde 1869 der untere Torturm um 303 Gulden auf Abbruch verkauft, weil er angeblich ein Verkehrshindernis bildete. Aber leicht hätte sich dort für den Verkehr eine Ein- und eine Ausfahrt herstellen lassen. Es fielen dann auch noch die bisher erhaltenen Mauerteile links vom unteren Tor und am Ausgang der vom Markt nach Osten führenden Gasse, sodaß die fünfhundertjährige Stadtmauer nur noch ein Stück weit rechts vom oberen Tor vollständig vorhanden ist. So verschwand, besonders auch durch fortschreitende Einfüllung des Stadtgrabens, ein Werk, das die Vorfahren mit bewunderungswürdigem Gemeinsinn und unter großen Opfern erstellt hatten. Gut, daß nunmehr der Stadtrat den noch vorhandenen Teil der Stadtumwallung unter seinen Schutz gestellt hat. - Sonst ging es in mancher Hinsicht vorwärts.
 
Auf dem Kirchenplatz wurde 1871 eine Friedenseiche gepflanzt. Der Lindenbergwald kam durch Kauf aus dem Besitz des Staates wieder an den der Stadt, deren Eigentum er vor Jahrhunderten schon einmal gewesen war. 1876 unter Bürgermeister Schuppart (1856 - 1885) wurde die städtische Sparkasse gegründet, die bald einen bemerkenswerten Aufschwung nahm. 1903 neue Räume nebst Stahlkammer erhielt und nach dem Kriege ihren Geschäftskreis um ein Bedeutendes ausdehnte. Auch die Creditbank Dinkelsbühl gründete dahier eine Zweiganstalt. Nachdem die enge Sulzachbrücke erweitert war, erfolgte 1891 unter Bürgermeister Distler (1891 - 1908) die Kanalisierung der Stadt, im gleichen Jahre die Granitpflasterung der Hauptstraßenzüge, 1906 die Baumanlage auf dem Schindfeld, dem ehemaligen schon 1396 genannten Schindelberg. Am 10. Mai 1892 erfolgte die Einweihung des durch die Bemühungen des verdienten Bezirksamtmanns Cammerer zustande gekommenen Distriktskrankenhauses, das, am Fuße der Königshöhe an einer herrliche Aussicht gewährenden und von der Waldluft des Stadtparks umwehten Stelle errichtet, nach dem unteren Bezirksamtmann Lindig erfolgten weiteren Aufbau zu den schönsten und besteingerichteten seines gleichen zählen dürfte. Zuvor schon hatte der Staat im ehemaligen Postgarten einen prächtigen Bau für das Amtsgericht erstehen lassen. Die 1891 errichtete und später erweiterte Stattliche Turnhalle dient der körperlichen Ertüchtigung der Jugend und bietet zugleich für Veranstaltung von Vorträgen und Feierlichkeiten erwünschten Raum. Dem öffentlichen Wohle dient die im März 1893 vom Verfasser gegründete Gemeindediakonie, die durch eine Augsburger Schwester Kranke und Hilflose pflegen läßt. Im August 1893 erfolgte die Enthüllung des Kriegerdenkmals auf dem Marktplatz, wobei der Verfasser die Weiherede hielt, ebenso wie bei dem 1923 im Zwinger, zu Erinnerung an die im Weltkriege gefallenen Gemeindeglieder errichteten Gedächtnismal, einem Werk des Professor Seiler in Nürnberg, das zu den schönsten seiner Art gehört. Nach Anregung des kunstverständigen Bezirksamtmanns Fischer entstand durch die Hingebung und hervorragende Kunst- und Sachkenntnis des Sanitätsrats Dr. Güthlein ein in zweckdienlich umgebautem eigenen Hause untergebrachtes Heimatmuseum, das seit seiner Einweihung im Jahre 1926 der Öffentlichkeit zugänglich und nach sachverständigem Urteil das bedeutendste von allen Provinzmuseen Bayerns ist. Neben der Stiftskirche bildet es die hervorragendste Sehenswürdigkeit Feuchtwangens. Unter Bürgermeister Fückel (von 1908 an) erhielt 1909 die Stadt ein eigenes Elektrizitätswerk. 1911 ist der ehemals sumpfige Zwinger, dessen Flächen durch die bei der Kanalisation der Stadt ausgehobenen Erdmassen erhöht wurde, mit Linden bepflanzt worden, Von der 1913 begonnen Wiederherstellung der Stiftskirche ist an anderer Stelle berichtet. Ruhig und in gedeihlicher Entwicklung verliefen die Tage des Jahres 1914, bis im Juni die Schüsse jenes von der serbischen Regierung gedungenen Mordbuben in ganz Europa widerhallten, denen der österreichische Thronfolger und seine Gemahlin erlagen. Nun hielten Rußland, dessen Zar sich von einer sittenlosen Bande von Großfürsten beeinflussen ließ, und das von Rachgier und Haß glühende Franzosenvolk die Zeit für gekommen, nach längst getroffener Vereinbarung über Deutschland herzufallen. Und das englische Krämervolk, das mit giftigem Neid die Blüte des deutschen Handels und Gewerbes wahrnahm, war bald der Dritte in diesem schändlichen Bunde. Es kann hier auf die Zeitereignisse natürlich nur insoweit eingegangen werden, als sie das Leben in der Heimat berührten.
 
Wie betäubt standen wir am 1. August vor dem Unfaßbaren, daß der längst befürchtete große europäische Krieg nun zur Tatsache geworden war. Aber bald loderte das Feuer vaterländischer Begeisterung empor und Opfermut und Opferfreudigkeit ließ die Herzen höher schlagen. In Dombühl brausten Tag und Nacht auf der militärisch wichtigen Bahn in viertelstündigen Abständen die Züge mit den Vaterlandsverteidigern und mit allerlei Kriegsgerät vorüber nach Westen, während auf dem anderen Geleise die Leerzüge zurückrollten. Da gingen manchen Feuchtwanger dahin, um mit andern, wenn die Züge hielten, den Kriegern Speise und Erquickung zu reichen. Wenn dann die Kunde von Siegen kam, wie der des großen Führers Hindenburg bei Tannenberg, wo 90000 russische Gefangene den Deutschen in die Hände fielen, Siege, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte, wie dröhnten da die Freudenschüsse über die Stadt hin und mischten sich in den Glockenklang von St. Johannis (der Kranzturm war schon eingelegt), während in den Gassen der Stadt die weiß-blauen Fahnen und die schwarz-weiß-roten des macht- und ehrenvollen kaiserlichen Deutschlands wallten! Kriegsbetstunden wurden in der vollbesetzten Johanniskirche an Wochentagen gehalten. Sie verliefen in der Form von abendlichen Familienandachten, denn in diesen religiös gehobenen Tage fühlte die evangelische Gemeinde sich durch gleichen Glauben, gleiche Sorgen, gleiches Flehen zu geistlicher Familiengemeinschaft verbunden. In diesen Andachten haben wir gelernt, den christlichen Glauben gemeinsam zu beten.
 
Schwerer und schwerer legte sich von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr die Last des Krieges, der durch die Umtriebe unserer Feinde zum Weltkrieg geworden war, auf die Schultern und auf die Herzen der Einwohnerschaft. Immer ältere Jahrgänge der Reserve wurden einberufen. Da sahen wir Tränenströme fließen, wenn der Hausvater Abschied nahm von seinem geliebten Weib und seinen unmündigen Kindern, um dem Rufe des Vaterlandes zu folgen.
 
Wie es nicht anders sein konnte bei dem furchtbaren Völkerringen, trafen immer häufiger Botschaften ein, daß der und jener Sohn und Bruder (darunter einzige Söhne) den Schlachtentod gestorben sei. Später kamen die Todesnachrichten ans Pfarramt, das die Angehörigen verständigen sollte. Da hat der Verfasser manchen sauren Berufsgang machen müssen, wenn es galt, einer nichtsahnenden Ehefrau den Tod ihres Gatten, des Vaters ihrer Kinder, schonend und tröstend mitzuteilen.
 
Wie draußen der Krieg immer gewaltiger sich auswuchs, so stieg daheim die Nut höher und höher. Soviele Männer waren fern und die Arbeit drängte. Da traten vielfach die treuen Frauen, zu ihren immerwährenden Ehren sei's gesagt, an deren Stelle und führten die Wirtschaft weiter unter Aufbietung aller ihrer Kraft. Besonders schwer wurde allmählich der Mangel an Nahrungsmittel empfunden, denn vorhandene Vorräte mußten vor allem den Kämpfern draußen zugute kommen und England schnitt uns jede Einfuhr von Lebensmitteln ab. Dadurch kam es soweit, daß diese in geringen Beträgen auf die einzelnen verteilt wurden. Da gingen wir monatlich zur Gemeindebehörde und holten uns unsere Brot- und Fleischmarken, gegen deren Abgabe wir soviel Lebensmittel erhielten, daß es notdürftig zur Erhaltung des Daseins hinreichte. Besonders drückend war die Not in den Großstädten.63 Von dort kamen die "Hamsterer" zu uns, vor allem auf unsere Landorte, um Nahrungsstoffe zu erwerben. Die Sicherheit auf dem Lande nahm ab. In Banzenweiler wurde in die Molkerei eingebrochen. In einsam gelegenen Gehöften kamen Geflügeldiebstähle, ja der Raub von Schweinen vor. Es ging offenbar zuende.
 
Der Krieg war aus. Leute, die sich beim Zusammenbruch des Vaterlandes an die Spitze der Regierung gedrängt hatten, unterschrieben den Schandvertrag von Versailles und mit ihm die Lüge, daß Deutschland der Urheber des Weltkrieges und der allein schuldige Teil sei. Es folgte das "Novemberverbrechen", durch das an Einem Tag, 9. November 1918, sämtliche Könige und Fürsten Deutschlands entthront wurden. In München und Nürnberg gabs Aufstände und Straßenkämpfe. In unserer Stadt wurde die Ruhe nicht gestört. Die Einwohnerwehr, die sich gebildet hatte, brauchte nicht in Tätigkeit zu treten. Von der Verschleuderung des Heeresgutes erlebten wir hier auch ein Stück. Starke Kriegswagen und gute Pferde wurden um ein Spottgeld hingegeben.
 
Es erfolgte die Auflösung der Heeresverbände und unserer Feldgrauen kehrten in die Heimat zurück. Eines Sonntags geschah ihre feierliche Begrüßung. Nach dem Gottesdienste versammelte man sich beim Kriegerdenkmal, wo der Verfasser den Heimgekehrten den Willkommensgruß der Heimat zurief. Hernach erfolgte ihre Bewirtung in den Gaststätten der Stadt.
 
Aber freilich nicht alle, die einst ausgezogen waren zum Schutze des Vaterlandes, sahen die Heimat wieder. Einhundertzweiundneunzig Jünglinge und Männer aus dem Feuchtwanger Pfarrsprengel starben des Heldentodes.
 
Der Gefallenen und Vermißten waren es aus Feuchtwangen 70 und von den Landgemeinden der Pfarrei 122. Letztere verteilen sich auf folgende nach ihrer Gemeindezugehörigkeit aufgezählte Orte: Aichenzell 4, Esbach 2, Herrnschallbach 2, Höfstetten 3, Kaltenbronn 3, Mögersbronn 3 , Zehdorf 3. Banzenweiler 4, Krebshof 1, Weiler am See 1. Heilbronn 2, Metzlesberg 1, Zumberg 3, Ameisenbrücke 1, Lichtenau 2, Bernau 6, Koppenschallbach 1, Krapfenau 7, Lotterhof 1, Oberlottermühle 2, St. Ulrich 2, Volkertsweiler 1, Wehlmeusel 4, Weikersdorf 4. Thürnhofen 10. Vorderbreitenthann 9, Hinterbreitenthann 3, Oberdallersbach 1, Steinbach 8, Tauberschallbach 3, Gindelbach 1, endlich Oberahorn und Unterahorn, die ein eigenes Denkmal für ihre Gefallenen errichtet haben, 14. Allein diesen 192, die ihr Leben hingaben für die Heimat, sei ein immerwährendes ehrenvolles Gedächtnis geweiht. Mit Ausnahme von vieren waren sie sämtlich Glieder der evangelischen Pfarrei Feuchtwangen.
 
Auch derer sei dankbar gedacht, die zwar wieder zur Heimat kamen, aber im Dienste des Vaterlandes Beschädigung des Leibes erlitten, sodaß sie ihr Leben lang eine Beschränkung ihrer Kraft und Leistungsfähigkeit erdulden müssen.
 
Durch den Krieg fiel das Achtuhrabendläuten im Stift (wohl das Kompletorium ? oder die Weinglocke ?) dahin, durch das einst ein Sommerauer, im Nebel verirrter Bauer sich wieder zurechtfand, worauf er zur Kirche ein Wiesenstück stiftete. Vom täglichen Choralblasen vom Kranzturm blieb auch nur das am Sonntag  und Mittwoch übrig.
 
Nun war es "Friede", aber nicht der Friede, den wir so heiß ersehnt hatten, nicht der Friede, der das alte Gedeihen wieder aufblühen ließ. Nein, es warteten unseres armen Volkes in der Nachkriegszeit noch schwere Schicksale. Es haben ja die Feinde uns einen Sklavendienst auferlegt, durch den unser Volk ausgesogen wird und wir alle in Stadt und Land mit unerträglicher Steuerlast beschwert werden. Aber noch größeres Unglück stand uns bevor. Schon 1919 begann der Kaufwert des Geldes zu sinken. Das Gold war verschwunden. Eine Flut von Papierscheinen ergoß sich über uns. Was man sonst um eine Mark gekauft hatte, dafür waren bald 10, dann 20 und in den Jahre 1922 und 1923 in rascher Folge 100, dann 1000, weiter 10000, dann 100000, dann Millionen, Milliarden, endlich Billionen Mark hinzulegen. Als nun der Grundsatz aufgestellt wurde: Mark ist Mark, da war nicht nur das Kirchenvermögen und das der Jahrhunderte alten Wohltätigkeitsstiftungen unserer Stadt, sondern auch alles in "mündelsicheren" Staatspapieren und bei Sparkassen und Banken angelegte Privatvermögen in Nichts zerflossen, da waren viele Reiche arm geworden. Es war erschütternd, wenn man einen Mann, der mit saurer Mühe sich auf die Tage seines Alters eine Summe erspart hatte, wenn man eine vormals reiche Bäuerin, die ihr Gut verkauft hatte und in die Stadt gezogen war, mit Tränen im Auge zur Behörde gehen sah, um sich Unterstützung zu erbitten. Wie durch Schaffung der Rentenmark, alles jenes Papiergeld 1924 ungiltig wurde, hat die Kirchenverwaltung mehrere Pfund Millionen- und Milliardenpapiere um ein paar Mark als Altpapier verkauft.
 
Feuchtwangen hatte schon vor dem Kriege in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum eine vielseitige Bereicherung und Verschönerung durch öffentliche Einrichtungen erfahren. Aber auch die Gewerbetätigkeit seiner Bewohner nahm während dieser Zeit einen beträchtlichen Aufschwung. Schon im Jahre 1846 hatte Georg Strauß dahier eine Steindruckerei eingerichtet. Als 1864 das Bezirksamt nach Feuchtwangen kam, wurde Strauß durch den ersten Bezirksamtmann, Scheidemandel, veranlaßt, eine Druckerei zu eröffnen zur Herstellung des wöchentlichen einmal erscheinenden Bezirksamtsblattes. Strauß starb 1883. Sein Geschäft ging über an Leonhard Rupprecht von Schnelldorf. Dieser ließ das Blatt unter dem Namen "Bayerischer Grenzbote" zuerst zweimal, dann dreimal wöchentlich erscheinen. 1908 verkaufte Rupprecht die Zeitung an die Firma Sommer & Schorr, die sie täglich herausgibt und sie mit Umsicht und Geschick in beträchtlich vermehrter Größe so ausgestaltete, daß sie zu einer beliebten und verbreiteten Tageszeitung geworden ist. Durch den Unternehmungsgeist und die Tüchtigkeit des von Oberahorn nach Feuchtwangen gezogenen Zimmermanns Leonhard Fuchs entstand an Stelle der fünfhundertjährigen Stadtziegelei ein großes Tonwerk, das samt einem Sägewerk von den Söhnen des Gründers in noch bedeutenderem Umfang fortgeführt wird. Im Westen der Stadt, nahe der 1876 eröffneten und später nach Dinkelsbühl weitergeführten Eisenbahn, entstand eine große Leimfabrik. Zu der ansehnlichen Kreiselmeyerschen Fabrik landwirtschaftlicher Maschinen kam 1923 eine zweite. Sie ist hervorgegangen aus der von Friedrich Krauß in Vorderbreitenthann aus kleinen Anfängen zu bedeutender Leistungsfähigkeit emporgeführten Fabrik, die von dessen Sohn in einen stattlichen Neubau an der Dinkelsbühler Strauße in Feuchtwangen verlegt wurde und weithin ihre Erzeugnisse versendet. Die in den letzten Jahrzehnten in unserer Gegend aufgekommene Pinselmacherei führte zur Errichtung einer wohleingerichteten Pinselfabrik durch den leider im besten Alter verstorbenen Georg Schmidt. Eine Harmonium- und Orgelbau-Anstalt liefert geschätzte, mit allen neuzeitlichen Erfindungen ausgestattet Instrumente. Auch das Handwerk steht in Blüte. Tüchtige Maurer und Zimmerleute bewiesen ihre Kunst bei dem Umbau der Stiftskirche und der Herstellung schöner Neubauten bei zur Zeit bestehender reger Bautätigkeit. Kunstreiche Gegenstände liefern die Schreinereien und Schlossereien, deren eine, die des Karl Hezel, nachweisbar seit weit über dreihundert Jahren in ununterbrochener Geschlechtsfolge von dessen Familie betrieben wird. Ein paar mechanische Werkstätten werden von gut ausgebildeten maschinenkundigen Geschäftsleuten betrieben, sodaß Schäden an den in immer größerer Zahl unsere Straßen befahrenden Kraftwägen dahier leicht behoben werden können. Reich ausgestattete Kaufläden laden zum Erwerb der Lebensbedürfnisse ein. Für edle Unterhaltung sorgen die Gesangvereine, von denen der "Gesang- und Musikverein" im Jahre 1927 die Feier seines hundertjährigen Bestehens begehen durfte. 1924 errichtete die Stadt ein Leichenhaus. 1925 erwarb sie durch Tausch die zur zweiten Pfarrstelle gehörende Mooswiese und gestaltete sie zu einem Sport- und Spielplatz. Leider ist sodann unter Nichtachtung der Verordnung des Markgrafen Friedrich Wilhelm und entgegen einer mehr als zweihundertjährigen Sitte der Mooswiesenanfang auf den Sonntag gelegt worden. Im Jahre 1927 endlich hat die Stadt ihr weitaus größtes Unternehmen begonnen, die Wasserleitung. Diese erhält ihren Zufluß aus den Quellen des Schönbachtales, zumteil auch aus dem Heiligen Brunnen.
 
Dies ist im großen und ganzen das Bild unserer lieben Stadt Feuchtwangen im dritten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts. Groß war der Wechsel ihrer Schicksale wie gegenwärtige Schrift ausweist, groß auch der Wechsel der sie bewohnenden Geschlechter. Namen tauchen auf und verschwinden wieder, andere treten an ihre Stelle. Schon nach Verlauf von hundert Jahren kann man diese Beobachtung gegenüber der vorausgegangenen Zeit machen. Da ist es bemerkenswert, daß dahier einige bürgerliche Geschlechter sich doch bis in unsere Tage behauptet haben. So werden die May schon 152 gelegentlich des Bauernkrieges, die Kleinschmiede oder Schlosser Hezel schon vor etwa dreihundertfünfzig, die Wünschenmeyer schon vor etwa zweihundertfünfzig Jahren genannt.
 
Wie auch anderwärts hat die Ausgestaltung des Verkehrswesens dahin geführt, daß in dem früher rein evangelischen Feuchtwangen im Laufe des 19. Jahrhunderts sich eine Mischung der Einwohnerschaft durch Einwanderung katholischer Familien ergab. Im Jahre 1848 wohnten dahier 70 Katholiken, die in das weit entfernte Halsbach gepfarrt waren. Diesem Übelstande abzuhelfen, wurde 1862 eine kath. Pfarrkuratie gegründet, der auch die in den um Feuchtwangen her gelegenen evangelischen Orten und Pfarreien wohnenden Katholiken zugewiesen wurden. Es erfolgte sodann der Bau einer kath. Kirche, die 1866 vollendet wurde, sowie eines Pfarrhauses. Später ist auch eine kath. Schule und ein Schulhaus errichtet und die Pfarrkuratie in eine katholische Pfarrei verwandelt worden, welcher viele Jahre lang der Pfarrer Herzlieb vorstand. Er wurde später bischöfl. Geistlicher Rat und Dechant, auch Ehrenbürger der Stadt Feuchtwangen, zog sich in der letzten Zeit seines Lebens nach Dinkelsbühl zurück und ist dort im Jahre 1927 gestorben. Sein Nachfolger wurde Pfarrer Wittmann.
 
Die Zahl der zur Stadt gehörigen Gebäude beträgt zur Zeit 461. Bei der letzten Volkszählung belief sich die Einwohnerschaft Feuchtwangens auf 2339 Seelen, von denen 2053 der evangelischen Kirche, 240 der katholischen Kirche und 46 dem Judentum angehörten. Den 1060 männlichen Einwohnern standen 1279 weibliche gegenüber. Neben 2297 Bayern befanden sich in der Stadt 34 sonstige Reichsdeutsche und 8 Ausländer, bezw. Staatenlose.
 
 
So verlief die Geschichte Feuchtwangens von ihren ersten Anfängen bis zur Gegenwart. Wie die Allgemeine Geschichte, so gibt auch sie Kunde von mancherlei Werden und Aufblühen und von Wiederhinabsinken ins Dunkel der Ohnmacht, ja der Vergessenheit, denn
 
Alles Irdische vergeht und fährt wie ein Strom dahin.
 
Nur Einer bleibt, erhaben über allem Wechsel der Zeiten in ungetrübter Herrlichkeit und Hoheit, der dreieinige ewige Gott. ER möge immerdar gnädig walten über unserer lieben Heimatstadt.

Feuchtwangen.


61) Das Wort Post kommt her vom lateinischen equi Positi = bereitgestellte Pferde, wie sie die alten Römer bei ihrem ausgebildeten Verkehrswesen zum Gespannwechsel an vielen Orten hatten. Zu gleichem Zweck standen vor Erbauung der Eisenbahnen im Feuchtwanger Poststall, wie erzählt wird, bei vierzig Pferde.
62) Ein Simra hatte 8 große oder 16 kleine Metzen, ein Schäffel 6 Metzen.
63) Im Jahre 1917 wurde der Verfasser als Landratsmitglied zu einer Sitzung des Kreisausschusses für Versorgung der Kriegerfamilien nach Nürnberg berufen. Da sah er, wie am Ostchor der Sebalduskirche gelbe Ackerrüben, sogenannte Dorschen, verkauft wurden, und wie ein paar hundert Menschen in dreifacher Reihe die ganze Sebalduskirche entlang und noch ein Stück um den Westchor standen, um allmählich zur Gelegenheit der Erwerbung einer solchen Rübe zu kommen. Das war ein unvergeßlcihes Bild der Not jener Tage.
Erstellt am 27.3.1999 durch Hans Ebert
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