Band 3 |
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Aus der Geschichte
der jüdischen Gemeinde von Feuchtwangen 1274 - 1938
von
Dietrich
Weiß
Ich für meine Person glaube, das einzige Mittel, die Welt zu ändern, ist, sie zu erklären. Erklärt man sie plausibel, so ändert man sie auf stille Art, durch fortwirkende Vernunft.
Lion Feuchtwanger (1884 - 1958) 1
"Das
deutsche Volk hat, wie andere Völker auch, immer wieder unter der
Geschichte gelitten, wahrlich nicht erst seit 1933. Was aber ihm und seinen
Nachbarn unter dem Nationalsozialismus widerfuhr, dafür kann es nicht
andere verantwortlich machen.Es wurde von Verbrechern geführt und
hat sich von Verbrechern führen lassen. Es weiß dies, gerade
auch dort, wo es dies lieber nicht wissen will. ...
Allmählich
erst kam es ans volle Tageslicht, was sich in Wahrheit zugetragen hatte.
Es wahrzunehmen bleibt unermeßlich schwer. Und dennoch vollendet
sich die Befreiung gerade darin, sich in Freiheit der Wahrheit zu stellen,
sich von ihr überwältigen zu lassen. Hier liegen die verantwortungsvollen
Aufgaben der historischen Wissenschaft. ... 2
Diese Passagen aus einer
Ansprache, die Bundespräsident Richard von Weizsäcker bei der
Eröffnung des 37. Historikertages am 12. Oktober 1988 in Bamberg gehalten
hat, fordern auch die Heimatgeschichtsforschung dazu auf, ohne Ansehen
der Person und ohne falsche Rücksichtnahme die geschichtlichen Tatsachen,
soweit dies die Quellenlage ermöglicht, darzustellen. Dies muß
vor allem für die Ereignisse gelten, die zwischen 1933 und 1938 der
Feuchtwanger Judengemeinde ein grausames Ende bereiteten.
Es
war recht schwierig, das zum Teil widersprüchlich tlberlieferte zu
ordnen und zu prüfen. Während der Arbeit zum vorliegenden
Aufsatz stellte sich immer wieder heraus, daß das Erinnerungsvermögen
von Zeitzeugen nach rund 50 Jahren nicht mehr zuverlässig war. Bei
manchen der Befragten ergab sich, daß die Jahre des Nationalsozialismus
in Deutschland, die ihre eigene Jugendzeit gewesen waren, trotz zum Teil
schlimmer Erlebnisse während des 2. Weltkrieges, aus der zeitlichen
Entfernung als positiv angesehen werden. Verdrängung, um das eigene
Gewissen zu beruhigen, Rücksichtnahme auf den Nachbarn oder den schon
längst verstorbenen ehemaligen aktiven Nationalsozialisten, sowie
Furcht davor, zur Wahrheit über die Ereignisse in der Heimatstadt
beizutragen, erschwerten die Recherchen unter den noch lebenden Zeitzeugen.
So mußte ich mich doch weithin auf Archivalien und Gedrucktes stützen,
auch wenn ich das anfangs nicht beabsichtigt hatte. Beteiligte Personen
werden mit ihren Namen genannt. Das ermöglicht das neue Bayerische
Archivgesetz, das am 15. November 1989 vom Landtag verabschiedet wurde
und am 1. Januar 1990 in Kraft trat.
Die Vergangenheit der ehemaligen
jüdischen Gemeinde zu Feuchtwangen seit den ersten Nachrichten über
sie zu erforschen und sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen,
ist die Absicht der vorliegenden Arbeit. Auch wenn die Vorgänge zur
Zeit des Nationalsozialismus einen breiten Raum einnehmen, so wird doch
die gesamte Geschichte der hiesigen Judengemeinde dargestellt, um das Verständnis
für das Ganze zu ermöglichen. Alles, was berichtet wird, kann
belegt werden. Wo es sich um Vermutungen handelt, ist das aus der Formulierung
ersichtlich. In den Anmerkungen sind die Ouellen zu Vorgängen in Feuchtwangen
und seiner engeren Umgebung angeführt, was ein Nachprüfen des
Geschilderten ermöglicht. Es wurde jedoch darauf verzichtet, die Ereignisse
der allgemeinen deutschen und jüdisehen Geschichte eigens zu belegen.
Sieben Beilagen veranschaulichen Vorgänge bzw. listen aus Archiven
Gewonnenes auf.
Für
die jüdische Geschichte des Markgraftums Brandenburg-Ansbach wurde
weitgehend auf das Buch von Sigfried Haenle "Geschichte der Juden im ehemaligen
Fiirstenthum Ansbach" aus dem Jahr 1867 zurückgegriffen, das bis heute
die einzige Gesamtdarstellung für dieses Gebiet bietet und deswegen
auch 1990 nachgedruckt wurde. In den Anmerkungen ist es abweichend von
den übrigen Belegen nur mit "Haenle" zitiert. Besonders wichtig ist
dieses Werk auch deswegen, weil sich ein großer Teil der seinem Verfasser
zugänglich gewesenen Archivalien durch ein Übereinkommen der
Bundesrepublik Deutschland mit dem Staat Israel heute in "The Central
Archives
for the History of the Jewish People" in Jerusalem befindet und im Original
nur dort eingesehen werden könnte.3
Betont werden muß,
daß nur ein Bruchteil des Materials verarbeitet wurde. Aus der frühen
Neuzeit und vor allem aus dem 18. bis 20. Jahrhundert steht ein Mehrfaches
der benutzten Archivalien zur Verfügung. Nur Typisches bzw. als besonders
wichtig Erscheinendes wurde als Belegmaterial herangezogen.
Ich
danke der Arbeitsgemeinschaft für Heimatgeschichte für die Bereitschaft,
diesen Aufsatz in den 3. Band ihrer "Feuchtwanger Heimatgeschichte" aufzunehmen.
Von den Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft haben mich mit Hinweisen allgemeiner
und besonderer Art unterstützt: Herr Fritz Wünschenmeyer, Herr
Werner Uhlich, Frau Helga Deininger und Herr Dr. Stefan Mühling.
Herr Dr. Ludwig Schnurrer, Stadtarchivar von Rothenburg ob der Tauber,
machte mir frühe Erwähnungen von Juden, die mit Feuchtwangen
verbunden werden können, zugänglich. Ihnen allen bin ich zu Dank
verpflichtet.
Die vorliegende Arbeit basiert
auf einem Vortrag beim Evangelischen Bildungswerk Feuchtwangen, den ich
am 10. November 1988, dem fünfzigsten Jahrestag der Zerstörung
der Feuchtwanger Synagoge, hielt. Der sehr großen Zahl von Zuhörern
jeden Alters soll besonders für ihr Interesse gedankt werden. Sie
ermutigten mich, den Vortrag überarbeitet und ergänzt zu Papier
zu bringen. Eine in Feuchtwangen offenkundig bestehende Informationslücke
soll auch durch diese Veröffentlichung behoben werden.