Froumunds
Leben
Unter den nach Feuchtwangen
abgesandten Tegernseer Mönchen befand sich auch Froumund, 58
ein Mann, der durch seine Tätigkeit als Klosterschreiber, Scholasticus,
59
Poet und Liebhaber wissenschaftlicher Bücher bis in unsere Zeit unvergessen
geblieben ist. 60 Bis heute wird er
zu den bedeutendsten europäischen Schriftstellern in lateinischer
Sprache an der Wende des 9./10. Jahrhunderts gezählt.Bereits vor seiner
Pionierzeit in Feuchtwangen war er mit dem Wiederaufbau seines Heimatklosters
Tegernsee auf das engste verbunden gewesen. Gerade im Feuchtwanger Kloster
begann er seine schriftstellerische Tätigkeit. 61
Er machte den Anfang zu einer Sammlung von Briefen und Gedichten, die zum
Zweck des persönlichen Nachlebens gedacht waren und auf die noch näher
eingegangen wird. Diese wertvolle Sammlung stellt überhaupt die älteste
ihrer Art dar, die um das Jahr 1000 von einem einzigen Mann angelegt wurde,
dessen prosaische und poetisches Werk enthält 62
und uns im Original erhalten blieb. Seinen Lebenslauf müssen wir aus
den spärlichen Angaben in seinem Gesamtwerk, also aus seinen Gedichten,
Briefen sowie Bemerkungen in seinen Handschriften erschließen. Als
externe Quellen liegen uns nur je ein Eintrag im Totenbuch des Klosters
St. Magnus in Füssen und im Verbrüderungsbuch des Klosters St.
Peter in Salzburg vor. 63
.
Froumund
wurde um 960, wohl aus einem südwestdeutschen edelfreien Geschlecht,
geboren 64und pflegte vertrauten Umgang
mit den Großen seiner Zeit. 65
In Gedicht XIII nennt er seine Mutter Ilisa und vielleicht in Brief 85
(Seite 104) seinen Vater und seine Stiefmutter. 66
Auch besteht begründeter Anlaß zu der Annahme, daß Froumund
und Wigo nicht nur Klosterbrüder, sondern auch leibliche Brüder
waren. 67 Dies wird jedoch von einigen
Forschern verneint.
.
Um 990 wird Froumund erstmals
als Mönch des Klosters St. Pantaleon in Köln erwähnt; 68
er war zu dieser Zeit wohl schon Mitglied des Konvents von Tegernsee. Sein
Aufenthalt in Köln diente Bildungszwecken. Er befaßte sich dort
mit Studien der lateinischen und griechischen Sprache. Seine besondere
Vorliebe galt von Anfang an wichtigen Büchern, die er von seinen Schülern
abschreiben ließ, um einige Exemplare zu erwerben. Persönlich
interessierte er sich mehr für Philosophie und Philologie, weniger
für Theologie. Nach seinem Aufenthalt in Köln und einem Besuch
in Würzburg finden wir Froumund um 990 dann in Tegernsee, wo er den
Mönchen zugeteilt wurde, die für die Reform des Klosters Feuchtwangen
ausersehen waren. Vielleicht gehörte er von Anfang an zu diesen auserwählten
Männern. Es ist aber auch möglich, daß er erst später
von Wigo vom Tegernseer Abt Gozbert zur Unterstützung seiner Arbeit
in Feuchtwangen erbeten wurde. 69
.
Im
Kloster Feuchtwangen gab es für Froumund viel zu tun. Er verfertigte
die schriftlichen Alltagsarbeiten in der Kanzlei unter dem Abt Wigo, unterrichtete
junge Mönche vor allem in den alten Sprachen und schrieb zusammen
mit seinen Schülern immer wieder Bücher ab, die er sich zu diesem
Zweck oftmals von auswärts auslieh. Dieses Abschreiben war die einzige
Möglichkeit, das Wissen der Zeit für die Klosterbibliothek und
damit für die ganze Klostergemeinschaft auf Dauer zugänglich
zu machen. Alle von ihm erhaltenen Werke werden auf Seite 29 - 32 aufgeführt.
Wie schwierig sich die Arbeit in Feuchtwangen anließ, erhellt zum
Beispiel aus der Tatsache, daß sich Froumund aus dem Kloster Füssen
Pergament für seine Schreibarbeiten erbitten mußte und aus der
Dombibliothek
Augsburg
Schulbücher für die Unterrichtung der jungen Mönche auslieh.
70
In Augsburg
hielt sich Froumund sicher öfter auf, allein schon deswegen, weil
er es auf dem Wege von Feuchtwangen nach Tegernsee erreichen konnte. Auch
wollte er die Bischofstadt wegen eines Gelübdes jährlich einmal
besuchen, konnte aber sein Versprechen erst mit Verspätung einhalten.
71
Froumund zog es immer wieder zur Reimkunst, 72
und manchmal sah er seine Tätigkeit als Lehrer im Rückblick sehr
kritisch an. 73
.
Im Sommer 995 verließ
Froumund zusammen mit den übrigen Mönchen wieder Feuchtwangen.
74
Er kehrte mit ihnen ins Mutterkloster Tegernsee zurück, wo er seine
in Feuchtwangen begonnene Gedicht- und Briefsammlung forstetzte. Er erarbeitete
wiederum in der Klosterkanzlei, lehrte in der Klosterschule und ging weiter
seiner privaten Leidenschaft, dem Reimen nach. Deshalb war er auch dazu
ausersehen, durch seine Dichtkunst die Ehre seines Klosters zu passenden
Anlässen zu wahren. 75 Die im
Froumund-Codex enthaltenen Gedichte stammen aus ausnahmlos von ihm selbst.
Er weigerte sich lange, die Priesterweihe zu empfangen, getreu seinem bescheidenen
Grundsatz, sich aus Büchern Wissen zu erwerben und andere zu lehren
76bis
ihm die Weihe dann kurz vor dem Jahr 1006 zuteil wurde. 77
In Tegernsee bekleidete er zeitweise das verantwortungsvolle Amt des Portarius,
des Klosterpförtners; und wenn er einmal als Comarcus bezeichnet wird,
so ist das nicht etwa ein Teil seines Namens, sondern dies läßt
darauf schließen, daß er als Priester außerhalb des Klosters
in der Verwaltung der Klostergüter eingesetzt war. 78
Scherzhaft bezeichnete man ihn dann wohl als Comarcus (Dorfschultheiß).
Oft waren die Mönche auch in Tegernsee nicht mit dem Notwendigsten
versehen, so daß Froumund sich einmal vorstellt, daß der Offizial
des Klosters, der ihm eine warme Bekleidung vorenthält, sich in einen
wilden Eber verwandle, dem er dann das Fell zu eigenen Gebrauch über
die Ohren ziehen könne. 79 Froumunds
letztes Lebenszeichen enthält Brief Nummer 93 seiner Sammlung. 80
Gestorben ist er an einem 20. Oktober, frühestens 1008, 81
aber jedenfalls vor 1012. 82
.
Eine
Charakterisierung Froumunds kann vor allem aus seinen Gedichten versucht
werden: 83
.
Danach erscheint er tatkräftig,
gewandt, pflichtbewußt und ernst in seiner Lebensanschauung, liebenswürdig
im Umgang. Seine Frömmigkeit ist ungekünstelt und kindlich. Er
zeigt Humor und Schalkhaftigkeit und antwortet bald mit Ironie, bald mit
Spott. Er scheut keine Mühe, um die notwendigen Hilfsmittel für
die Klosterschule zu bekommen. Froumunds Unterricht ist philologisch und
philosophisch, er hat mit der theologischen Ausbildung der älteren
Klosterschüler nichts zu tun. In jungen Jahren hatte er sich mit Eifer
der griechischen Sprache gewidmet, als nach der Heirat des Königs
Otto II. mit der byzantinischen Prinzessin Theophanu der griechische Einfluß
auf die gelehrte Kultur Deutschlands zunahm. Gern flicht er griechische
Wörter in seine Texte ein. 84
Am Rande seines in Köln geschriebenen Boethius-Kommentars
notiert er zum Beispiel 53 griechische Begriffe, denen er die lateinische
Bedeutung beifügt. 85 Zeitgenössischen
Spielereien gehorchend, sammelt Froumund 22 lateinische Wörter, die
vor und rückwärts gelesen gleich lauten, 86
benutzt in einem Brief nur alliterierende Wörter 87
oder hebt den Anfangsbuchstaben jeder Zeile dreimal innerhalb der Zeile
und dann noch an deren Ende hervor. 88
Man erkennt sein Streben nach Harmonie. 89
.
Als
Poet erntet er hohes Lob: Seine Gedichte entsprachen einem tieferen Drang
des Gemütes, dazu geselle sich ausgesprochener Sinn zur Formenschönheit.
90
Aber auch an redlicher fehlt es nicht: 91
Seine Gedichte seien Produkte der Mühe, nicht des Talentes, sie seien
schwerfällig und nicht selten dunkel, bisweilen so verkünstelt,
daß selbst das Erraten des Sinngehalts unmöglich sei. Seine
Sprache wird als fast barbarisch bezeichnet. Auch erkenne man eine Sucht,
mit seltenen lateinischen Ausdrücken, altertümlichen Formen und
mythologischen Anspielungen zu prunken und seine Kenntnisse des Griechischen
zur Schau zu stellen. Man bemerkt, daß die Gedichte nach Schule schmecken
92
und Froumund auch als Dichter den Schulmeister nicht habe verleugnen können.
93
.
Kempff stellt die Frage,
deren Beantwortung Froumund von anderen frühmittelalterlichen Dichtern
unterscheidet: Habe nicht auch für Froumund die Versuchung nahegelegen,
anstelle seines uns überlieferten Werkes, die Gründung seines
Klosters Tegernsee, die Lebensgeschichte von dessen Patron Quirinius zu
verherrlichen? Und er gibt selbst darauf die Antwort: Froumund sei eine
zu ursprüngliche Natur gewesen, um sich solchen, volle Objektivität
erfordernden Aufgaben zuzuwenden. Er übte Kritik auch an der Obrigkeit,
und Satire war ihm nicht fremd. Er sei durch und durch subjektiv gewesen
und bilde so den Übergang von der althochdeutschen, epischen Periode
der deutschen Literatur zur Lyrik des Minnesangs. 94
58)
Lebensbeschreibungen Froumunds befinden sich u. a. in Mantius: Geschichte
der Lateinischen Literatur. S. 517 und Langosch: Froumund von Tegernsee.
S. 775 - 779.
59)
Dem späteren Scholastikus (Leiter der Schule) des Chorherrenstiftes
waren die nahe bei Feuchtwangen gelegenen Höfe Winterhalten und Jungenhof
lehenspflichtig. (Zins- und Gültbuch des Stiftes Feuchtwangen von
1565. Staatsarchiv Nürnberg, Rep. 225/9 I 7(1).) Wann diese Höfe
an die Kloster bzw. Stiftsschule kamen, ist nicht bekannt.
60)
Der Name Froumund ist auch heute noch lebendig, wie uns Pater Fromunf Ostertag
aus Bad Tölz brieflich am 27.8.1986 bestätigte. Er hat diesen
Namen 1926 bei seiner Einkleidung in den Franziskanerorden erhalten.
61)
Langosch: Froumund von Tegernsee. S. 775.
62)
Schmeidler: Die Briefsammlung Froumunds von Tegernsee. S. 238.
63)
Necrologia Germaniae. Bd 1. Dioecesis Augustensis, Constantiensis, Curiensis
und Bd. 2. Diecensis Salisburgensis, Siehe auch Kempf: Froumund von Tegernsee.
S. 49.
64)
Schepps: Zu Froumunds Briefcodex und zu Ruodlieb. S. 422., Manitius: Geschichte
der Lateinischen Literatur. S. 523., Eder: Die Schule des Klosters Tegernsee.
S. 25 Anm. 14.
Bis ins 12. Jahrhundert
wurden nur Adelige in den Klosterkonvent von Tegernsee aufgenommen; die
Äbte entstammten, soweit überprüfbar, fast alle bis ins
13. Jahrhundert dem deutschen Hochadel. (Klein: Zur Spruchdichtung und
Heimatfrage Walthers von der Vogelweide. S. 23.)
65)
Schmeidler: über die Tegernseer Briefsammlung. S. 422.
66)
ebenda S. 417.
67)
ebenda S. 416 und 418.
68)
St. Pantaleon wurde 964 gegründet und strahlte schon bald als Reformkloster
in das östliche Frankenreich aus. (Biermann: Unsere mittelalterlichen
Klöster. S. 36.)
69)
Brief 2., Schmeidler: über die Tegernseer Briefsammlung. S. 418
70)
Eine Priscian-Handschrift wurde aus Augsburg
entliehen (Brief 8), Pergament aus Füssen erbeten (Brief 6)
71)
Zu diesem Gelübde sieh Kempf: Froumund von Tegernsee. S. 20 ff.
72)
Froumund will als zweiter Orpheus erscheinen (Manitius: Geschichte der
Lateinischen Literatur. S. 520.)
73)
Er schreibt, daß es besser gewesen wäre, wenn er, anstatt zu
lehren, allerhand Mummenschanz getrieben, Dramen oder witzige Stücke
verfaßt hätte, dann würde man (wenigstens) über ihn
gelacht haben. (Gedicht XXXII)
74)
Die manchmal geäußerte Meinung, daß Wigo Dekan im Feuchtwanger
Chorherrenstift geworden sei (nach der entsprechen Auslegung von Brief
97), geht davon aus, daß nicht alle Mönche nach Tegernsee zurückkehrten,
sondern in das nach dem Kloster bestehenden Stift eintragen. (Siehe auch
Anm. 57!)
75)
Kempf:Froumund von Tegernsee. S. 31.
76)
Gedicht X: "Discere decrevi libros, alliosque docere ..."
77)
Kempf: Froumund von Tegernsee. S. 45
78)
Tegernseer Briefsammlung. S. XVIII.
79)
Manitius: Geschichte der Lateinischen Literatur. S. 520; Gedicht IV.
80)
Kempf: Froumund von Tegernsee. S. 50.
81)
Schmeidler: Die Briefsammlung Froumunds von Tegernsee. S. 229
82)
Ineichen-Eder: Froumund von Tegernsee. S. 980.
83)
Wir halten uns vor allem an Kempf: Froumund von Tegernsee. S. 52.
84)
So verwendet er auch für seinen Mitbruder das Wort "adelfus" und nicht
"frater" (Brief 7).
85)
z. B. atomos - insecabilis
86)
Seite 90 des Codex am unteren Rand, in Gedicht 24, siehe Tegernseer Briefsammlung.
S. 63.
87)
Brief 71.
88)
Gedicht V.
89)
In der Literatur wurde noch nicht auf eine offenkundige Harmonie in der
Anordnung der "Feuchtwanger Briefe" hingewiesen: Sie sind symmetrisch angeordnet,
was mit dem Streben Froumunds nach Harmonie zusammenhängen dürfte,
womit er dem benediktinischen Geist entsprach. Der erste und der letzte
(Nr. 16) Brief haben die Kaiserin Adelheid
als Adressatin bzw. als Absenderin, die Briefe 2 und 15 richten sich an
den Abt Theoderich (Dietrich), Nummer 3 und 14 jeweils an einen fremden
Abt (Ruotker und Abt E.), und die Briefe 4 und 13 wenden sich klagend an
Bischof Liutold. Eingebettet in diese 4 vor- und nachgestellten Briefe
sind die mittleren acht.
90)
Kempf: Froumund von Tegernsee. S. 60. bringt noch weitere positive Kritik.
91)
ebenda S. 60., Seiler: Froumunds Briefcodex. S. 405.
92)
Manitius: Geschichte der Lateinischen Literatur. S. 521.
93)
Brunhölzl: Die lateinische Literatur. S. 492.
94)
Kempf: Froumund von Tegernsee. S. 68.
Erstellt:
12.3.1998 - letzte Änderung am 2.2.2000 durch Hans Ebert